Grundlagen Rechtliches

Überholen einer Fahrzeugkolonne von bis zu zehn Fahrzeugen zulässig

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Wer ordnungsgemäß zum Überholen einer Kolonne ansetzt, hat gegenüber ausscherenden Fahrzeugen aus der Kolonne Vorrang. Das Überholen einer großen Kolonne von neun bis zehn Fahrzeugen ist grundsätzlich erlaubt und führt nicht zu einem Mitverschulden. Dies entschied das Oberlandesgericht (OLG) Celle.[1]

Ein Motorradfahrer, der in Niedersachsen auf einer Bundesstraße unterwegs war, überholte eine Kolonne von ca. zehn Fahrzeugen. Eines der Fahrzeuge aus der Kolonne bog jedoch links ab. Hierbei kam es zu einem Zusammenstoß zwischen dem PKW und dem Motorrad.

Vom Landgericht (LG) Verden wurde der Fahrer des PKW daraufhin zur Zahlung von Schadensersatz aufgrund einer Haftungsquote von 50 % verurteilt. Das LG ging davon aus, dass der PKW-Fahrer unter Verletzung seiner Sorgfaltspflicht aus der Kolonne ausgeschert war, dem Motorradfahrer hingegen wurde zur Last gelegt, überhaupt die Überholung getätigt zu haben. Hier würde eine unklare Verkehrslage vorliegen. Gegen diese Entscheidung des Landgerichts richtete sich die Berufung des Motorradfahrers.

Überholvorgang zulässig

Das OLG Celle entschied anders. Es bestätigte, dass das Überholen einer Fahrzeugkolonne zulässig sei, auch wenn diese bis zu zehn Autos beinhalte, und widerrief die Behauptung, eine unklare Verkehrslage würde vorliegen. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, müsse der begonnene Überholvorgang nicht abgebrochen werden, da der Abbruch dieses Vorgangs unter Umständen gefährlicher sein könne als dessen Fortsetzung. Des Weiteren dürfe der Überholende – nach ordnungsgemäßem Ausscheren – davon ausgehen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer nicht verkehrswidrig verhalten. Daher stehe ihm der Vorrang gegenüber den Vorausfahrenden zu.

Erhöhte Sorgfaltspflicht gegeben

Grundsätzlich ist demnach das Überholen mehrerer Fahrzeuge, die hintereinander fahren, statthaft und nicht verboten.[2] Trotz alledem treffe laut OLG denjenigen, der bei hoher Geschwindigkeit mehrere Kraftfahrzeuge überholt, eine erhöhte Sorgfaltspflicht, sodass ihm auch eine sogenannte „Schrecksekunde“ nicht zusteht. Insoweit stelle das Überholen einer Kolonne auch einen gefahrerhöhenden Umstand dar, der zu einer Mithaftung führt. Diesen besonderen Sorgfaltsanforderungen kam der Motorradfahrer nicht nach, obgleich ihm dies durch normales Fahrverhalten möglich gewesen wäre. Insbesondere hat er sein Fahrzeug nicht verlangsamt, als der Rechtsvorgänger mit dem Abbiegen begann. Aus diesem Grund wurden ihm eine Teilschuld und ein Mithaftungsanteil von 25 % angelastet.

 

Entnommen aus dem RdW-Kurzreport, 1/2023, Rn. 18.

[1] OLG Celle, Urteil vom 08.06.2022 – 14 U 118/21.

[2] OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.09.2018 – 1 U 155/17.