Rechtliches

Reiserückkehrer aus Risikogebiet: Annahmeverzug des Arbeitgebers bei Nichtbeschäftigung

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Sind betriebliche Regelungen zur Anordnung einer Quarantäne und dem Wegfall der Vergütungspflicht für diesen Zeitraum wirksam? Diese Frage beantwortet die nachstehende Entscheidung.[1]

Ein Angestellter ist bei einem Konzern-Unternehmen, das Lebensmittel produziert, als Leiter der Nachtreinigung in Berlin beschäftigt. Im Juni 2020 unterrichtete das Unternehmen die Belegschaft darüber, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) eine aktuelle Liste von internationalen Risikogebieten veröffentlicht habe, in der vielleicht auch Reiseländer der Belegschaftsmitglieder, wie die Türkei, aufgeführt seien. Belegschaftsmitglieder, die aus einem Risikogebiet zurückkehrten, müssten sich nach ihrer Rückkehr unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung (beziehungsweise Haus oder eine andere geeignete Unterkunft) in eine 14-tägige Quarantäne begeben.

Weiter wies das Unternehmen darauf hin, dass in diesem Fall für die Zeit der erforderlichen Quarantäne wie auch einer tatsächlichen COVID-19-Erkrankung Lohnfortzahlungsansprüche wegfielen. Diese Regelung entsprach einem Hygienekonzept, das die Muttergesellschaft des Unternehmens erstellt hatte. Die damalige Eindämmungsmaßnahmen-Verordnung des Landes Berlin sah ebenfalls eine vierzehntägige Absonderungszeit bei Reisen in ein Risikogebiet vor. Dies galt nicht, wenn ärztlicherseits bestätigt wurde, dass keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Infektion mit dem Corona-Virus vorhanden seien.

Der Angestellte reiste im August 2020 anlässlich des Todes seines Bruders in die Türkei, die zu dieser Zeit vom RKI als Risikogebiet ausgewiesen war. Vor und nach der Ausreise aus der Türkei absolvierte Tests, einschließlich eines ärztlichen Zeugnisses, attestierten dem Angestellten unter dem 17.08.2020 Symptomfreiheit. Er suchte am selben Tag den Betrieb auf, wurde aber am Werkstor abgewiesen und durfte seinen Arbeitsplatz nicht aufsuchen. Trotz des Hinweises auf die negativen Corona- Testergebnisse und sein ausdrückliches Arbeitsangebot teilte seine Arbeitgeberin ihm mit, er dürfe bis einschließlich 28.08.2020 das Betriebsgelände nicht betreten und habe der Arbeit fernzubleiben. Sie wies ihn auch auf den Wegfall des Vergütungsanspruchs für die Zeit vom 17. bis zum 28.08.2020 hin, bot aber an, ihm Urlaub zu gewähren. Damit war der Angestellte nicht einverstanden und erhob aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges eine Zahlungsklage in Höhe von 1.512,47 € brutto nebst Zinsen.

Quarantäneanordnung als Anweisung zu Ordnung und Verhalten von Arbeitnehmern

Seine Klage war in allen drei Instanzen erfolgreich. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts befand sich das beklagte Unternehmen im Annahmeverzug nach §§ 293 ff BGB. Der Kläger habe seine Arbeitskraft ordnungsgemäß angeboten, als er am 17.08.2020 zur persönlichen Arbeitsaufnahme im Betrieb erschienen sei. Die Anordnung der Beklagten, nach Rückkehr aus einem Risikogebiet 14 Tage in Quarantäne zu bleiben, sei nicht als eine die Arbeitsleistung betreffende Weisung zu verstehen. Sie beziehe sich vielmehr auf die Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb.

Der Kläger sei imstande gewesen, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken. Denn er sei im streitigen Zeitraum leistungswillig und leistungsfähig gewesen. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei nicht durch das erteilte vierzehntägige Hausverbot beseitigt worden. Dieses Hausverbot stelle kein objektives Leistungshindernis dar. Denn hier handele es sich um einen Umstand, den die Beklagte als Arbeitgeberin selbst geschaffen habe. Eine öffentlich-rechtliche Vorgabe zur Quarantäne habe weder aufgrund bundesrechtlicher Vorschriften noch aufgrund landesrechtlicher Berliner Verordnungen bestanden. Wegen des ärztlichen Zeugnisses sei der Kläger von der Quarantänepflicht nach der entsprechenden Eindämmungsverordnung für das Land Berlin befreit gewesen.

Mit der Quarantäneanordnung für die Dauer von 14 Tagen habe die Beklagte aber in die Privatsphäre der Arbeitnehmer eingegriffen und die Grenzen des Direktionsrechts nach § 106 Satz 2 GewO überschritten. Das Betretungsverbot bezüglich des Betriebes sei durch die Beklagte selbst erlassen worden und schließe die Verpflichtung zur Vergütungsfortzahlung nicht aus, selbst wenn vertretbare arbeitsschutzrechtliche Gründe für das Betretungsverbot angeführt worden seien. Konkrete betriebliche Umstände, die eine Annahme der Arbeitsleistung unmöglich gemacht hätten, habe die Beklagte nicht vorgetragen.

Das Hygienekonzept reiche dafür auch im Hinblick auf die Fürsorgepflicht der Beklagten wegen eines Ansteckungsrisikos der anderen Arbeitnehmer nicht aus. Die Kombination aus Anordnung eines vierzehntägigen Betretungsverbots und der gleichzeitige Verlust des Vergütungsanspruchs seien unverhältnismäßig. Als milderes Mittel hätte die Beklagte ein Betretungsverbot unter Fortzahlung der Vergütung aussprechen können.

Praxistipp

Was ein Arbeitgeber im Zusammenhang mit Pandemie-bedingten Risiken anordnen kann, bestimmt sich hiernach zum einen nach öffentlich- rechtlichen Regelungen z.B. über Testpflichten, Absonderungsgebote, Einschätzungen des RKI, und zum anderen nach betrieblichen Aspekten um die Fürsorgepflicht und die Wahl des mildesten Mittels zur Beachtung betrieblicher Belange. Entscheidungen über betrieblich angeordnete Quarantänen und insbesondere die Vergütungspflicht während dieser Zeit müssen vor diesem Hintergrund sorgsam abgewogen werden.

 

Entnommen aus dem RdW-Kurzreport, 5/2023, Rn. 80.

[1] BAG, Urteil vom 10.08.2022 – 5 AZR 154/22.