Rechtliches

Verurteilung eines Rasers wegen Mordes

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Die Verurteilung eines Rasers nach tödlichem Ausgang eines Autorennens wegen Mordes begründet keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und auch keinen Verstoß gegen das Schuldprinzip. Dies beschloss das Bundesverfassungsgericht im Fall des „Ku´damm-Rasers“.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer befuhr mit seinem hochmotorisierten Kraftfahrzeug den Berliner Kurfürstendamm. Dort vereinbarte er mit dem Mitangeklagten des Ausgangsverfahrens, ein Wettrennen bis zur nächsten roten Ampel auszutragen. In der Folge entwickelte sich eine Wettfahrt durch die Berliner Innenstadt, bei der der Beschwerdeführer mit stark überhöhter Geschwindigkeit mehrere rote Ampeln überfuhr und schließlich mit kontinuierlich voll durchgetretenem Gaspedal und einer Geschwindigkeit von wenigstens 160 km/h mit einem bei Grünlicht in eine Kreuzung einfahrenden Geländewagen zusammenstieß. Der Geländewagen drehte sich um die eigene Achse, flog etwa 25 Meter weit durch die Luft, schlug mit dem Dach auf der Fahrbahn auf, rutschte auf der Seite liegend die Fahrbahn entlang und blieb 72 Meter vom Kollisionsort entfernt liegen. Der Fahrer verstarb noch an der Unfallstelle. Mit angegriffenem Urteil verurteilte das Landgericht (LG) den Beschwerdeführer u. a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die dagegen eingelegte Revision des Beschwerdeführers und die vorliegende Verfassungsbeschwerde blieben erfolglos.

StGB – § 211, 212

GG – Art. 1 Abs. 1, Art. 103 Abs. 2

Die Verurteilung eines Rasers nach tödlichem Ausgang eines Autorennens wegen Mordes begründet keinen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und auch keinen Verstoß gegen das Schuldprinzip. Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 07.12.2022 – 2 BvR 1404/20 – Verlags-Archiv Nr. 2023-06-01)

Aus den Gründen
  1. Der Beschwerdeführer zeigt keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG auf.

a) Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Art. 103 Abs. 2 GG enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie. Aus der Zielsetzung des Art. 103 Abs. 2 GG sind für die Gerichte Vorgaben für die Handhabung weit gefasster Tatbestände und Tatbestandselemente zu entnehmen. Sie dürfen nicht durch eine fernliegende Interpretation oder ein Normverständnis, das keine klaren Konturen mehr erkennen lässt, dazu beitragen, bestehende Unsicherheiten über den Anwendungsbereich einer Norm zu erhöhen. Andererseits ist die Rechtsprechung gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen.

b) Gemessen an diesen Maßstäben haben die Fachgerichte mit der Annahme, der Beschwerdeführer habe mit Tötungsvorsatz gehandelt, die Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG nicht missachtet.

Ausnahmen vom Grundsatz der Bestimmtheit

aa) Die Rüge, die Fachgerichte hätten eine dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG widersprechende Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit vorgenommen, dringt nicht durch. Unschädlich ist, dass das Strafgesetzbuch die Begriffe des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit zwar verwendet, aber keine die Rechtsanwendung anleitenden Definitionen für diese beiden Begriffe enthält. Auch vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 Abs. 2 GG ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, im Gesetz Definitionen für diese beiden Begriffe, insbesondere für die Rechtsfiguren des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit, vorzusehen.

Art. 103 Abs. 2 GG schließt die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln im Strafrecht nicht von vornherein aus. Gegen ihre Verwendung bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für eine Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt. Jedenfalls bei Tötungsdelikten besteht für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit eine solche gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung. Bedingter Tötungsvorsatz ist danach gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).

Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Bei der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall anhand einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Die objektive Gefährlichkeit einer Handlung ist dabei wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Es ist weder dargetan noch aus sich heraus ersichtlich, dass diese den Vorsatzbegriff konkretisierende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar ist. Zwar ist diese gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung Kritik unterworfen, was sich darin zeigt, dass die Strafrechtswissenschaft vieldiskutierte Theorien zur Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit bildet.

Im Ergebnis zeigt die Diskussion jedoch nur auf, dass – auch vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots zulässige – Randunschärfen bei der Abgrenzung bestehen. Damit umzugehen, obliegt der fachgerichtlichen Rechtsprechung und der Strafrechtswissenschaft und berührt die Gewährleistungen des Bestimmtheitsgebots nicht. Es ist auch mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, seine Auffassung von der zutreffenden oder überzeugenderen Auslegung des einfachen Rechts an die Stelle derjenigen der Fachgerichte zu setzen.

Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nicht erkennbar

bb) Die angegriffenen Entscheidungen des LG und insbesondere des BGH fügen sich in diese – dem aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleiteten Präzisierungsgebot entsprechende – ständige Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ein und lassen damit den behaupteten Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nicht erkennen. Ausdrücklich nehmen beide Entscheidungen diese ständige Rechtsprechung zum Ausgangspunkt ihrer weiteren Prüfung. Dementsprechend haben sowohl LG als auch BGH – anders als der Beschwerdeführer meint – nicht nur auf die objektive Gefährlichkeit der Handlung abgestellt, sondern auf die wesentlichen in der Beweisaufnahme – nach Auffassung des BGH revisionsrechtlich rechtsfehlerfrei – festgestellten Umstände des Einzelfalls, die Rückschlüsse auf das Wissens- und das Willenselement der inneren Tatseite zulassen.

Einhaltung des richtigen Maßstabs für die Anwendung von Art. 103 Abs. 2 GG

cc) Der Beschwerdevortrag ist jedenfalls nicht geeignet, die Auslegung des Vorsatzbegriffs und die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts darunter vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots verfassungsrechtlich in Zweifel zu ziehen. Im Ergebnis zielt er auf den Wunsch nach einer verfassungsgerichtlichen Neubewertung des festgestellten Sachverhalts anhand des einfachen Rechts ab. Damit legt der Beschwerdeführer den falschen Maßstab an, denn Art. 103 Abs. 2 GG berührt die Zuständigkeit der Fachgerichte für die Auslegung und Anwendung des Strafrechts innerhalb des Wortsinns der Straftatbestände nicht. Der Rüge, die Gerichte hätten bei der Auslegung des Vorsatzbegriffes das aus dem Bestimmtheitsgrundsatz folgende Verschleifungsverbot missachtet, bleibt ebenfalls der Erfolg versagt. Dass ein tatsächlicher Umstand – wie hier die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch das Willenselement – Beweisbedeutung für unterschiedliche Tatbestandsmerkmale haben kann, führt nicht zu einer unzulässigen Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen.

Soweit der Beschwerdeführer die Frage der Abgrenzung zwischen Gefährdungs- und Verletzungsvorsatz aufwirft und eine Verschleifung zwischen §§ 315c, 315d StGB und §§ 211, 212 StGB behauptet, verlässt er die fallbezogene Diskussion, denn Tat- und Revisionsgericht haben ausführlich und in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise erörtert, dass der Beschwerdeführer nicht nur die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer im Rechtssinne billigte, sondern auch deren Verletzung. Ohnehin missversteht der Beschwerdeführer insoweit Inhalt und Reichweite des Verbots der Verschleifung von Tatbestandsmerkmalen. Danach dürfen einzelne Tatbestandsmerkmale eines Straftatbestandes innerhalb ihres möglichen Wortsinns nicht so weit ausgelegt werden, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen desselben Straftatbestandes aufgehen, also zwangsläufig mit diesen mitverwirklicht werden.

Auf das Verhältnis mehrerer selbstständiger Straftatbestände zueinander ist dies nicht übertragbar; insoweit stellen sich in erster Linie Konkurrenzfragen. Schon daraus, dass Qualifikationstatbestände die Verwirklichung des Grundtatbestandes voraussetzen, ergibt sich, dass ein Verbot der Verschleifung von Straftatbeständen durch Art. 103 Abs. 2 GG nicht gewährleistet wird. Es wirft demnach keine Verschleifungsfrage auf, dass ein mit Verletzungsvorsatz handelnder Täter nicht nur ein Verletzungsdelikt, sondern unter Umständen tateinheitlich dazu ein konkretes Gefährdungsdelikt verwirklichen kann.

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Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 6/2023, Lz. 233.