Grundlagen Rechtliches

Wegwerfen von Cannabis als versuchtes Inverkehrbringen

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Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat in Bezug auf einen Angeklagten, der auf der Flucht vor der Polizei das von ihm mitgeführte Marihuana ziellos weggeworfen hatte, festgestellt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Dereliktion von Konsumcannabis auch – weiterhin – der Strafbarkeit unterfallen soll. Die Vorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasse damit auch das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum.

Sachverhalt

Der Angeklagte führte ohne die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis im Stadtgebiet insgesamt 11,19 Gramm Marihuana wissentlich bei sich. Ein Teil der Betäubungsmittel war zur Übergabe an den Zeugen C. bestimmt.

Als der Angeklagte auf dem Weg zum Zeugen bemerkte, dass er zwei Polizeibeamten aufgefallen war, flüchtete er und warf die Betäubungsmittel während der Flucht mit dem Fahrrad vor einem Hauseingang auf den Boden, wo das Rauschmittel kurz darauf von den Polizeibeamten sichergestellt wurde. Wann und wie der Angeklagte in den Besitz des Marihuanas gekommen war, hat die Strafkammer nicht feststellen können.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Die beiderseitigen Berufungen hat das Landgericht verworfen. In der Revisionsinstanz unterlag das Urteil der Aufhebung insoweit, als das Urteil im Schuldspruch dahin geändert worden ist, dass der Angeklagte des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens von Konsumcannabis schuldig gesprochen worden ist.

Hinsichtlich des Strafausspruches wurde das Urteil aufgehoben und an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

Normen und Leitsatz

KCanG – §§ 2, 3, 34, 37

StGB – §§ 2, 22, 23

Das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum ist als unerlaubtes Inverkehrbringen von Konsumcannabis einzuordnen. Die Tat ist vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt.

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschl. v. 08.04.2024 – 203 StRR 39/24

Aus den Gründen

Nach der gesetzlichen Neuregelung, die zum 01. April 2024 in Kraft getreten ist, ist zwar allein der Besitz von bis zu 30 Gramm Konsumcannabis außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht mehr strafbar, auch wenn das Betäubungsmittel, wie hier, nicht ausschließlich für den Eigenkonsum besessen wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 3 i. V. m. § 34 Abs. 1 Nr. 1a des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG), BGBl I Nr. 109 vom 27. März 2024).

Entsprechendes gilt nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a KCanG für den Erwerb oder die Entgegennahme einer Menge von bis zu 25 Gramm. Die sich zugunsten des Angeklagten auswirkende Gesetzesänderung ist nach § 354a StPO und § 2 Abs. 3 StGB in der Revision zu beachten.

Versuchte Abgabe von Konsumcannabis

Die Feststellungen tragen auch keine Verurteilung wegen versuchter Abgabe von Konsumcannabis. Denn die Grenze zum Versuchsstadium war hier noch nicht überschritten. Ein unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 StGB besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll (…).

Bezüglich des Tatbestands der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln wird die Schwelle zum Versuchsbeginn erst überschritten, wenn der Täter unmittelbar zur Überlassung der Betäubungsmittel ansetzt (…). Danach reicht der Transport der abzugebenden Betäubungsmittel zur Übergabe noch nicht aus, vielmehr liegt darin eine straflose Vorbereitungshandlung (…).

Versuchtes unerlaubtes sonstiges Inverkehrbringen

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte jedoch wegen des versuchten unerlaubten sonstigen Inverkehrbringens von Konsumcannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht.

Die neue gesetzliche Bestimmung kann bezüglich des Umgangs mit Konsumcannabis als Nachfolgeregelung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG angesehen werden, ohne dass ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot zu besorgen wäre.

Das Wesen des vormals in § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1, 3 BtMG und Anlage I a. F. zu BtMG beschriebenen und nach Abs. 2 auch als Versuch strafbaren Delikts des unerlaubten Inverkehrbringens von Cannabis als ein dem Betäubungsmittelgesetz unterfallendes Rauschmittel ist in seinem Kern auch nach der gesetzlichen Ausgestaltung der Neuregelung unberührt geblieben.

Kontinuität des Unrechtstyps

Ein Fall, dass der Gesetzgeber durch die völlige Umgestaltung einer Strafvorschrift zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht mehr das bisher verpönte, sondern ein ganz anders geartetes Verhalten als Unrecht betrachtet, mit der Folge, dass die Straftatbestände des alten und des neuen Gesetzes nicht mehr zueinander in Beziehung gesetzt werden können (…), liegt hier nicht vor.

Die Kontinuität des Unrechtstyps ist auch im Rahmen der Neuregelung gewahrt, der Tatvorwurf ist im Wesentlichen derselbe geblieben, sodass kein tiefgreifender Wesensunterschied zwischen der alten und der neuen Vorschrift festgestellt werden kann, mit der Folge, dass der Täter, der den neuen Straftatbestand erfüllt, wegen der Straftat verurteilt werden kann (…).

Auffangtatbestand des sonstigen Inverkehrbringens

Für den Anwendungsbereich des BtMG ist anerkannt, dass der Auffangtatbestand des sonstigen Inverkehrbringens nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG jedes, gleichwie geartete Eröffnen der Möglichkeit umfasst, dass ein anderer die tatsächliche Verfügung über den Stoff erlangt und ihn nach eigener Entschließung verwenden kann, also jede Verursachung eines Wechsels der Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel durch einen anderen (…).

Wirft jemand – auch anlässlich einer Polizeikontrolle – Betäubungsmittel in einer Weise weg, welche die Gefahr begründet, dass Dritte die Betäubungsmittel auffinden, konsumieren oder weitergeben, war dieses Verhalten nach der bisher geltenden Rechtslage von der Strafvorschrift von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG als sonstiges Inverkehrbringen umfasst (…).

Die Tat ist erst vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt. Finden diese die Drogen nicht, so bleibt es beim Versuch (…).

Bewusstes Wegwerfen weiterhin strafbar

Diese Grundsätze sind auf die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG entsprechend zu übertragen. Denn in der Neuregelung des Umgangs mit Konsumcannabis wurden die Strafvorschriften aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit an das Betäubungsmittelstrafrecht angelehnt (…).

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll auch weiterhin die Dereliktion von Konsumcannabis der Strafbarkeit unterfallen (…). Die Vorschrift von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst damit auch das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum.

(…)

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 08/2024, Lz. 405.