Gefahrenabwehr Sicherheit

Tempo 30 für als Schulweg genutzten Streckenabschnitt

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Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) befasste sich in seinem Beschluss vom 25.03.2024 mit der Beschränkung der zulässigen Geschwindigkeit auf 30 km/h für einen Streckenabschnitt, den Grundschulkinder als Schulweg benutzen.

Sachverhalt

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die von der Straßenverkehrsbehörde verfügte Begrenzung der Geschwindigkeit auf einem Teilstück einer von ihm regelmäßig befahrenen Kreisstraße von vorher 50 auf 30 km/h. Die Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht (VG) und dem VGH erfolglos. Der VGH formuliert in seinem Beschluss zunächst folgende Leitsätze:

1. Die Beschränkung der zulässigen Geschwindigkeit auf 30 km/h für einen Streckenabschnitt, den Grundschulkinder als Schulweg benutzen, setzt im Hinblick auf das Erfordernis einer qualifizierten Gefahrenlage in § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nicht voraus, dass es dort bereits zu Unfällen (mit Personenschaden) gekommen ist.

2. Eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit einer Rechtsgutbeeinträchtigung im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO kann auch dann gegeben sein, wenn die Straßenquerung wegen der Unübersichtlichkeit und beschränkten Einsehbarkeit eines Straßenabschnitts sowie des dort zutage getretenen Geschwindigkeitsniveaus des Kraftfahrzeugverkehrs für Grundschulkinder besonders schwierig ist.

Dem Beschluss des VGH ist im Einzelnen zu entnehmen:

Rechtsgrundlage für Beschränkungen des fließenden Verkehrs

„Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist.

Nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO dürfen – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen (vgl. § 45 Abs. 9 Satz 4 und 5 StVO) – Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter – also etwa der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs und dem damit verbundenen Schutz von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer – erheblich übersteigt.“

Besondere örtliche Verhältnisse

„Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO können bei verkehrsbehördlichen Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, der zur Verfügung stehenden Fläche für den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr, witterungsbedingten Einflüssen, der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung, der Verteilung des Verkehrs und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 03.01.2018 – 3 B 58.16 … und vom 23.04.2013 – 3 B 59.12 …; BayVGH, Urteil vom 05.06.2018 – 11 B 17.1503 …) …

Darüber hinaus hängen die besonderen örtlichen Verhältnisse im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nicht zwingend von sich aus den örtlichen Begebenheiten ergebenden Unfallzahlen ab. So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es selbst zur Feststellung, ob auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine konkrete Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO vorliegt, keiner Ermittlung bedarf, wie hoch konkret der Anteil an feststellbaren bzw. zu erwartenden Unfällen ist …

Besondere örtliche Verhältnisse werden vielmehr von einer Gemengelage verschiedener Faktoren, wie etwa der Breite und dem Ausbauzustand der für den Verkehr zur Verfügung stehenden Fläche, den Ausweichmöglichkeiten, der Inanspruchnahme von Flächen durch parkende Fahrzeuge und deren Auswirkungen auf den Verkehr, der Übersichtlichkeit der Streckenführung und der Verteilung des Verkehrs über den Tag, beeinflusst …

Die von dem VG vorgenommene Gesamtbetrachtung, die das Vorliegen besonderer örtlicher Verhältnisse in dem hier maßgeblichen Streckenabschnitt bejaht hat, hat damit auch unabhängig von einer detaillierten Bewertung der sich dort ereigneten einzelnen Unfälle Bestand.“

Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage

„Eine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich übersteigt, ist nicht erst dann anzunehmen, wenn alsbald mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermehrt Schadensfälle eintreten würden, sähe die zuständige Straßenverkehrsbehörde von einem Eingreifen ab.

Unfälle beruhen in der Regel auf einer Mehrzahl von Faktoren, die sowohl subjektiver (Fahrerverhalten) wie objektiver Art (Streckencharakter und Verkehrsverhältnisse) sein können. Auch für die Streckeneigenschaften und die Verkehrsverhältnisse ihrerseits sind eine Reihe von Umständen (mit-)bestimmend. Angesichts dessen würde sich in der konkreten Situation eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit vermehrter Schadensfälle kaum je dartun lassen.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass es bei Verkehrsbeschränkungen und -verboten im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO regelmäßig – bei solchen zur Unfallvermeidung wie der hier in Rede stehenden Geschwindigkeitsbegrenzung immer – um die Abwehr von Gefahren für Leib und Leben und bedeutende Sachwerte geht.

An Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht gefordert

Nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts ist jedoch, wenn derart hochrangige Rechtsgüter betroffen sind, ein behördliches Einschreiten bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zulässig und geboten. Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit wird daher von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nicht gefordert.

Die Vorschrift setzt nur – aber immerhin – eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraus. Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.9.2010 – 3 C 37.09 …) …“

(…)

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.03.2024 – 13 S 730/23

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern 18/2024, Rn. 210.