Rechtliches Sicherheit

Korruption an der Warteschlange

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Das Oberlandesgericht Köln hat im Fall eines Flughafen-Security-Mitarbeiters geurteilt, dass dieser sich nicht strafbar gemacht hat, als er einem Wartenden anbot, ihn gegen Zahlung von 50 Euro an der Warteschlange vorbeizuführen.

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft hat dem zur Tatzeit 20 Jahre alten Angeklagten zur Last gelegt, sich als Heranwachsender der versuchten Erpressung (§§ 253, 22, 23 StGB) schuldig gemacht zu haben.

Als Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsunternehmens und sog. „Line-Manager“ am Flughafen habe der Angeklagte am Tattag von einem auf den Abflug in den Urlaub wartenden und in Anbetracht der extremen Wartezeiten in großer Sorge vor einem Verpassen des Fluges befindlichen Fluggast, dem Zeugen B., 50 € gefordert, um diesen im Gegenzug an der Warteschlange vorbeizuführen.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg.

Normen und Leitsatz

StGB – § 253

1. Die Ankündigung, ein rechtlich nicht gebotenes Handeln zu unterlassen, kann sich als Drohung mit einem empfindlichen Übel darstellen.

2. Ein angedrohtes Übel ist indessen nicht „empfindlich“ im Sinne von § 253 StGB, wenn von dem Bedrohten erwartet werden kann, dass dieser der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.

3. Das ist in einem Fall anzunehmen, in dem ein Fluggast auf dem Flughafen E./I. im Sommer 2022 unter Beibehaltung seines Platzes in der Warteschlange vor dem Sicherheitsbereich, dem Ansinnen des angeklagten „Line-Managers“, ihn gegen einen geringen Geldbetrag an der Warteschlange vorbeizuführen, standhält.

Oberlandesgericht Köln, Urt. v. 11.06.2024 – 1 ORs 52/24

Aus den Gründen

Die zulässige Sprungrevision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg. Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, welche Tatsachen das Gericht für erwiesen erachtet hat und aus welchen Gründen das Gericht den festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht für nicht strafbar erachtet (vgl. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO).

Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe. Das Amtsgericht hat dargelegt, welche Feststellungen es zur Sache getroffen hat. Zudem hat es den festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht umfassend gewürdigt.

Der Freispruch aus rechtlichen Gründen hält materiell-rechtlicher Nachprüfung stand. Das Amtsgericht geht zu Recht davon aus, dass der Angeklagte sich aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht der versuchten Erpressung im Sinne von §§ 253, 22, 23 StGB schuldig gemacht hat.

Keine Drohung mit einem empfindlichen Übel

Der Angeklagte hat dem Zeugen B. unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhalts nicht mit einem empfindlichen Übel gedroht. Der Senat brauchte hierbei letztlich nicht zu entscheiden, ob der Staatsanwaltschaft darin zuzustimmen ist, dass der Angeklagte dem Zeugen B. – entgegen der Ansicht des Amtsgerichts – mit einem Übel gedroht hat. Denn selbst wenn der Angeklagte dem Zeugen mit einem Übel gedroht haben sollte, war das Übel für den Zeugen jedenfalls nicht „empfindlich“.

Eine Drohung liegt vor, wenn der Täter ein Übel in Aussicht stellt, auf dessen Eintritt oder Verhinderung er Einfluss hat oder zu haben vorgibt. Dabei kann auch in der Ankündigung eines Unterlassens eine Drohung mit einem Übel liegen.

Ankündigung des Unterlassens als Drohung

Der Angeklagte hat dem Zeugen B. für den Fall der Nichtzahlung ein Unterlassen in Aussicht gestellt. Denn seinen Äußerungen ist zu entnehmen, dass er es im Falle der Nichtzahlung unterlassen wird, den Zeugen und seinen Begleiter an der Warteschlange vorbei – näher heran an den Bereich der Sicherheitskontrolle – zu führen.

Der Einordnung als Drohung steht insoweit nicht von vornherein entgegen, dass der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen ist, den Zeugen B. und seinen Begleiter an der Warteschlange vorbeizuführen. Denn auch in der Ankündigung, ein rechtlich nicht gebotenes Handeln zu unterlassen, kann die Drohung mit einem empfindlichen Übel liegen.

Für den Motivationsdruck, der von einer Drohung ausgeht, kommt es nicht darauf an, was der Täter tun oder unterlassen darf, sondern darauf, welches Übel als Folge seines Verhaltens (angeblich) eintreten wird.

Juristische Definition eines Übels

Allerdings setzt eine Verurteilung nach § 253 Abs. 1 StGB voraus, dass der Täter dem Bedrohten ein Übel in Aussicht stellt. Unter einem Übel wird herkömmlich jede vom Betroffenen als nachteilig empfundene Veränderung der Außenwelt verstanden.

Da sich dieses Verständnis des Übels in bestimmten Fallgestaltungen – wie auch in vorliegender Sache – als zu eng erweisen könnte, wird der Begriff des Übels teilweise auch etwas weiter gefasst, und zwar als „etwas Unangenehmes, Nachteiliges und den Umständen nach zu Vermeidendes“, das das Opfer hinsichtlich seiner Motivation zu dem vom Täter gewollten Verhalten zu bestimmen vermag.

Bei der Würdigung, was dem Bedrohten in Aussicht gestellt wird und ob hierin die Drohung mit einem Übel liegt, ist auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen. Ob sich der Bedrohte seiner subjektiven Wahrnehmung nach bedroht fühlt, ist angesichts des objektiv zu bestimmenden Erklärungswerts der Aussage nicht entscheidend.

(…)

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 10/2024, Lz. 338.