Gefahrenabwehr Rechtliches

Polizeilicher Schmerzgriff gegen „Klimakleber“ diesmal rechtswidrig

Polizeibeamte von hinten, die Demonstranten gegenüberstehen.
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Frau Rechtsanwältin Tzelepis, LL.M., stellt gemeinsam mit Frau Holloway, Studentin der Rechtswissenschaften, ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vor, das die Frage thematisiert, wann der Einsatz von Schmerzgriffen und Nervendrucktechniken durch Polizisten rechtmäßig ist.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte im vorliegenden Fall über die Rechtmäßigkeit der Anwendung von Nervendrucktechniken beziehungsweise Schmerzgriffen durch Polizeibeamte gegenüber Versammlungsteilnehmern zu entscheiden.

Sachverhalt

Als Teilnehmer einer Spontanversammlung „Letzte Generation“ befand sich der Kläger am 20. April 2023 auf der Fahrbahn der „Straße des 17. Juni“ in Berlin, um mit einer Gruppe von 35 Teilnehmenden ab 08:50 Uhr den Berufsverkehr zu blockieren.

Gegen 10:11 Uhr wurde der Versammlung durch beschränkende polizeiliche Verfügung der Gehweg als Versammlungsort zugewiesen, um die Straße als solche freizuhalten. Dieser Anweisung kamen die Teilnehmer der Versammlung jedoch nicht nach, weshalb die Versammlung – nach zwei wiederholenden polizeilichen Anordnungen – schließlich gegen 10:22 Uhr aufgelöst wurde.

Androhung unmittelbaren Zwangs

Gemeinsam mit anderen Versammlungsteilnehmern kam der Kläger auch dieser polizeilichen Anordnung zur Versammlungsauflösung nicht nach, woraufhin die eingesetzten Polizeibeamten den sich widersetzenden Teilnehmenden die zwangsweise Auflösung der Versammlung unter Zuhilfenahme unmittelbaren (physischen) Zwangs androhten.

Der Kläger verharrte dennoch in seiner sitzenden Position, dem Schneidersitz, auf der Straße und hielt beide Arme fest an seinem Körper, als er durch eine weitere Einsatzkraft der Polizei erneut zum Verlassen der Fahrbahn aufgefordert wurde. Es folgte eine weitere Androhung unmittelbaren Zwangs nebst Ankündigung, dass die drohende Polizeimaßnahme für den Kläger auch mit Schmerzen verbunden sein würde.

Anwendung des angekündigten Schmerzgriffs

Der Kläger verblieb jedoch weiterhin in seiner sitzenden Position und wurde daraufhin durch zwei Einsatzkräfte der Polizei unter Anwendung des angekündigten Schmerzgriffs von der Fahrbahn verbracht. Hierbei rief der Kläger „Lassen Sie mich einfach sitzen“ und schrie vor Schmerzen. Aus den dahinter aufgereihten Polizeibeamten kam sodann eine weitere Einsatzkraft zu Hilfe und der Kläger wurde von mehreren Polizeibeamten von der Fahrbahn getragen.

Im Nachgang rügte der Kläger die Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns in Bezug auf den Einsatz der Nervendrucktechnik beziehungsweise des Schmerzgriffs zur Auflösung der Straßenblockade gegenüber der Polizei.

Frage der Rechtsgrundlage

Am 27. Juni 2023 erhob er schließlich Klage, mit der er geltend machte, dass keine Rechtsgrundlage für die Anwendung von Schmerzgriffen und Nervendrucktechniken existiere. Er beantragte, die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahme festzustellen. Das Handeln der Beamten am 20. April 2023 habe einen unverhältnismäßigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Klägers und in die Versammlungsfreiheit dargestellt.

Zudem stelle die Anwendung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) dar und verstoße gegen das Foltergesetz nach Art. 1 Abs. 1 UNAntifolterkonvention (UN-AntifolterK).

Frage der Verhältnismäßigkeit

Die Beklagte wiederum beantragte, die Klage abzuweisen und machte geltend, dass die Rechtsgrundlage zur Anwendung von Schmerzgriffen und Nervendrucktechniken in § 8 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz Berlin (VwVfG BE) in Verbindung mit §§ 12, 6 Abs. 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) liege. Die Maßnahme sei im konkreten Fall auch verhältnismäßig, insbesondere erforderlich gewesen.

Der Einsatz der Tragetechnik stehe im Ermessen der Polizei und sei aufgrund der Unterzahl der Polizeikräfte im Vergleich zu den Versammlungsteilnehmern in diesem Fall unumgänglich gewesen. Das Recht der Allgemeinheit und der betroffenen Autofahrer an der Nutzung der öffentlichen Straße hätte das Recht des Klägers auf körperliche Unversehrtheit überwogen. Der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 EMRK und des Art. 1 Abs. 1 UN-AntifolterK sei im hiesigen Fall nicht eröffnet gewesen.

Normen und Leitzsatz

VwVG – §§ 6, 9, 12

VwVfG BE – § 8

UZwG BE – §§ 2, 4

Das Verwaltungsgericht Berlin stellte fest, dass die Anwendung von Schmerzgriffen und Nervendrucktechniken durch die Polizei gegenüber dem Kläger im konkreten Fall rechtswidrig war. Als Form des unmittelbaren Zwangs muss die Anwendung dieser Techniken ermessensgerecht erfolgen, das heißt sie müssen u. a. verhältnismäßig sein. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, da die konkrete Maßnahme nicht erforderlich war. Ausschlaggebend für die Beurteilung der (fehlenden) Erforderlichkeit der Maßnahme sind Zeit- und Kraftaufwand, Anzahl und Verfügbarkeit der Einsatzkräfte vor Ort und das Verhalten der Zielperson. Im konkreten Fall wäre jedoch ein milderes Mittel, nämlich das bloße Wegtragen des Klägers ohne Anwendung eines Schmerzgriffs möglich und gleich effektiv gewesen.

Verwaltungsgericht Berlin, Urt. v. 20.03.2025 – 1 K 281/23

(…)

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 07/2025, Lz. 799.