Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte sich mit der Frage zu befassen, ob § 45 Abs. 1 StVO dem Nutzer eines Wegs ein subjektives Recht gegenüber der Straßenverkehrsbehörde auf Aufstellung von Verkehrsschildern zu seinem Schutz vermittelt.
Die Gemeinde (Antragsgegnerin) war vom Verwaltungsgericht (VG) auf Antrag eines Bürgers, der den Weg regelmäßig nutzt, per einstweiliger Anordnung verpflichtet worden, vorläufig den in ihrem Gemeindegebiet liegenden und auf mehreren Grundstücken verlaufenden Fuß- und Radweg auf Höhe des Grundstücks Flst.-Nr. xx (D.straße xx) sowie auf Höhe des Bahnhofs (Bereich des Fahrradständers) mit den Verkehrszeichen 239 (Gehweg) und 1022-10 StVO (Fahrräder frei) zu beschildern. Die Beschwerde der Gemeinde zum VGH hatte Erfolg. Der VGH führt Folgendes aus:
Schutz der Allgemeinheit im Fokus
„Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten oder den Verkehr umleiten. Es ist allgemein anerkannt, dass § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO damit grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit und nicht auf die Wahrung der Belange Einzelner im Straßenverkehr gerichtet ist (vgl. BVerwG, U. v. 22.12.1993 – 11 C 45.92 – juris Rn. 18, …).
Es reicht insoweit nicht aus, dass Anordnungen nach § 45 Abs. 1 StVO andere Verkehrsteilnehmer mittelbar begünstigen, um den Schutz von Individualinteressen durch diese Vorschrift anzunehmen. Denn der Kreis der Verkehrsteilnehmer ist nicht bestimmt genug. Er ist vielmehr unübersehbar, sodass nicht angenommen werden kann, der Verordnungsgeber habe dem einzelnen Verkehrsteilnehmer grundsätzlich eine rechtlich geschützte Position zur Wahrung seiner Interessen einräumen wollen.
Letztlich sind alle Verkehrsteilnehmer durch die von den Anordnungen ausgehende Schutzwirkung erfasst, was deutlich zeigt, dass es in der Regel um die Interessen der Allgemeinheit an der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs geht …“
Ausnahme für erheblich betroffene Anlieger
„Nur ausnahmsweise kann § 45 Abs. 1 StVO dem Schutz von Individualinteressen dienen und dem Einzelnen ein – auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung begrenztes – subjektives Recht vermitteln, wenn Betroffene vor Einwirkungen des Straßenverkehrs zu schützen sind, die nach allgemeiner Anschauung das zumutbare Maß übersteigen (vgl. BVerwG, U. v. 6.6.20241) – 3 C 5.23 – juris Rn. 45, …). Insofern kommt insbesondere die Regelung in § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVO als Anspruchsgrundlage für den Erlass straßenverkehrsrechtlicher Anordnungen in Betracht …
Nach dieser Vorschrift können Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten, um die – ausdrücklich individualisiert benannte – Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen zu schützen. Auch darüber hinaus können grundsätzlich lediglich (erheblich betroffene) Anlieger bei unzumutbaren Verkehrseinwirkungen einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein verkehrsregelndes Einschreiten nach § 45 Abs. 1 StVO geltend machen …
Nur diese bilden einen erkennbar abgegrenzten Kreis von Personen, die sich durch das objektive Kriterium der Lage des von ihnen bewohnten Grundstücks von der Allgemeinheit unterscheiden und von den Verkehrseinwirkungen zwangsläufig in besonderer Weise berührt sind …
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
So hat das Bundesverwaltungsgericht ein subjektives Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde über ein Einschreiten wegen eines regelmäßig verbotswidrig beparkten Gehwegs für Anwohner, allerdings ausdrücklich auf die eigene Straßenseite im Straßenabschnitt bis zur Einmündung der nächsten Querstraße beschränkt, anerkannt (U. v. 6.6.2024 – 3 C 5.23 – juris Rn. 42 f., 62).
Außerdem hat es einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Einschreiten für einen Anwohner, der seine Garagenausfahrt bei auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkenden Fahrzeugen nicht nutzen konnte, bejaht (U. v. 22.01.1971 – VII C 48.69 – juris Rn. 16).
Im Übrigen hat es eine obergerichtliche Entscheidung (OVG Niedersachsen, U. v. 28.3.1985 – 12 A 123/83 – juris) bestätigt, in der ein Anspruch auf die Aufstellung einer Wechsellichtzeichenanlage für einen Kläger mit Hofstelle an einer Bundesstraße und Weideland auf der anderen Straßenseite eingeräumt wurde, da er auf eine sichere Verkehrsabwicklung bei dem regelmäßig notwendigen Viehtrieb über die Straße angewiesen war (B. v. 3.7.1986 – 7 B 141.85 – juris Rn. 3).“
Keine Begründung eines Anspruchs aufgrund bloßer Nutzung eines Wegs
„Die Situation des Antragstellers ist mit diesen Fällen, in denen sich die Rechtsschutzsuchenden auf eine räumliche Zuordnung zu einer Gefahrenstelle oder zu einer besonderen Belastung durch Einwirkungen des Straßenverkehrs berufen konnten, nicht vergleichbar. Eine solche zwangsläufige Betroffenheit von der Verkehrssituation – wie etwa die eines Anliegers – macht der Antragsteller nicht geltend. Er beruft sich vielmehr lediglich auf die regelmäßige (nahezu tägliche) Nutzung des Wegs.
Das persönliche Nutzungsverhalten führt aber nicht dazu, dass Nutzer von Straßen und Wegen, die nicht deren Anlieger und die auch nicht aus sonstigen Gründen wegen einer besonderen räumlichen Zuordnung auf deren Nutzung angewiesen sind, zu einem von der Allgemeinheit abgegrenzten Personenkreis mit individuell geschützten Interessen an der Nutzung gehören. Sie sind nicht zwangsläufig unzumutbaren Einwirkungen des Straßenverkehrs ausgesetzt, sondern ausschließlich selbst Teil des Verkehrs und damit der Allgemeinheit …, deren Belange in ihrer Gesamtheit im Rahmen von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO mit dem Ziel der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs abgewogen werden.
Die (regelmäßige) Nutzung einer Straße oder eines Wegs als bloßer Verkehrsteilnehmer kann hier mithin keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein verkehrsregelndes Einschreiten nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO begründen.“
(…)
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.02.2025 – 13 S 15/25
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern 18/2025, Rn. 196.