Eine Fußgängerin beabsichtigte, mit einer Klage materiellen und immateriellen Schadensersatz gegen eine benachbarte Grundstückseigentümerin geltend zu machen. Das Landgericht Frankfurt a. M. (LG) hatte der Fußgängerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt, weil die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg biete. Hiergegen wendete sich das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt a. M. (OLG).
Entlang der von der geschädigten Fußgängerin gemieteten Garage verläuft auf dem benachbarten Wohnhausgrundstück der Nachbarin ein unbeleuchteter Steinweg, der über eine offene Tür von der Garage der Fußgängerin aus erreichbar ist. Über diesen Steinweg gelangt man zur Terrasse der benachbarten Grundstückseigentümerin.
Die geschädigte Fußgängerin behauptete, sie habe sich am 05.02.2021 gegen 18 Uhr auf Bitten der Pflegekraft der benachbarten Grundstückseigentümerin bereits bei Dunkelheit aus ihrer Garage über den Steinweg und über die Terrasse in das Nachbarhaus begeben, weil die Eigentümerin mit ihr habe reden wollen.
Keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
Der Weg werde von Pflegekräften und Angehörigen der benachbarten Grundstückseigentümerin benutzt, sie selbst habe ihn zwar gekannt, diesen aber zuvor noch nicht genutzt. Auf dem Rückweg sei sie auf dem mit Blättern, Ästen und Moos bedeckten, regennassen und schmierigen Weg gestürzt. Dabei habe sie sich eine Scham-, Sitz- und Kreuzbeinfraktur zugezogen.
Sie hat gemeint, aus diesen Umständen eine Verkehrssicherungspflicht der Grundstückseigentümerin ableiten zu können, wonach diese verpflichtet gewesen sei, den Weg so zu unterhalten, dass er ohne Sturzgefahr habe genutzt werden können.
Wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten beabsichtigt sie deshalb, die benachbarte Grundstückseigentümerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld i. H. v. 20.000 € zu verklagen.
Das LG hatte dagegen keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gesehen. Die Grundstückseigentümerin sei nicht verpflichtet gewesen, den untergeordneten Weg auf ihrem Grundstück angesichts der Begleitumstände des Sturzes und der Belegenheit der von der Fußgängerin genutzten Garage zu reinigen.
Vollständige Verkehrssicherung praktisch nicht erreichbar
Mit der sofortigen Beschwerde beim OLG hat die geschädigte Fußgängerin die mit dem Klageentwurf dargelegten Umstände wiederholt und vertieft. Die sofortige Beschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg.
Die benachbarte Grundstückseigentümerin treffe zwar grundsätzlich eine Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich ihres Grundstücks und des in ihrem Eigentum stehenden Gebäudes. Sie muss auch damit rechnen, dass Fußgänger diesen Weg benutzen.
Nach st. Rspr. des Bundesgerichtshofs (BGH), der sich das OLG anschließt, ist derjenige, der eine Gefahrenlage, gleich welcher Art, schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.
Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar.
Keine Vorsorgepflicht für alle möglichen Schadenseintrittsformen
Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden.
Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.
Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind.
Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte, so hart dies im Einzelfall sein mag, den Schaden selbst tragen.
Nutzung eines nicht eigentlichen Zugangsweges
Hier habe die Fußgängerin bei Dunkelheit einen für sie erkennbar nicht als eigentlichen Zugangsweg zu dem Wohnhaus gewidmeten Weg benutzt. Ihr sei der Weg nicht bekannt gewesen. Dass sie die Beschaffenheit des Weges nicht wahrgenommen habe, habe sie nicht behauptet.
Die Grundstückseigentümerin habe angesichts dieser Umstände unterstellen können, dass sich ein sorgsamer Nutzer „eingedenk der Unübersichtlichkeit der Bodenbeschaffenheit mit angepasster, besonderer Sorgfalt bewegt“. Dass sie dies getan habe, habe die Fußgängerin nicht dargetan.
Daran ändert auch der hier zu unterstellende Umstand nichts, dass der Weg von Pflegekräften und Angehörigen der benachbarten Wohnhauseigentümerin genutzt wird. Zu einem eigentlichen Zuweg zum Wohnhaus wird der Weg dadurch nicht, weil er nur von einem begrenzten und lebensnah zu unterstellenden mit den Umständen vertrauten Personenkreis genutzt wird.
Oberlandesgericht Frankfurt a. M., Beschl. v. 08.09.2022 – 17 W 17/22
Entnommen aus der Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz 21/2023, Rn. 225.