Rechtliches Sicherheit

Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren

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Das Kammergericht Berlin hat entschieden, dass die Sachrüge eines wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße verurteilten Pkw-Fahrers unbegründet ist, da die im Urteil festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhe.

Nach den Feststellungen der Polizei befuhr ein Pkw-Fahrer am 07.12.2021 gegen 21.40 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 124 km/h (netto) einen innerörtlichen Abschnitt einer Bundesautobahn. Damit überschritt er die durch gut erkennbares Verkehrszeichen 274 zuvor angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 64 km/h.

Das Amtsgericht (AmtsG) hatte den Pkw-Fahrer mit Urteil vom 18.10.2022 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 64 km/h zu einer Geldbuße i. H. v. 1.750 € verurteilt und ihm für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Das AmtsG war von diesem Tatgeschehen überzeugt, weil drei Polizeibeamte unabhängig voneinander bekundet hatten, den Fahrzeuglenker, der ihnen bereits zuvor durch überhöhte Geschwindigkeit aufgefallen sei, über eine Wegstrecke von etwa 565 m, bei einem gleichbleibenden Sicherheitsabstand von minimal 50 m und maximal 150 m, mit einer vom ungeeichten Tacho abgelesenen Geschwindigkeit von 160 km/h verfolgt zu haben.

Mit seiner gegen das Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde erhob der Pkw-Fahrer die allgemeine Sachrüge und sieht zusätzlich formelles Recht als verletzt an. Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 Strafprozessordnung (StPO) unzulässig.

Dies hat der 3. Senat für Bußgeldsachen beim Kammergericht Berlin (KG) entschieden und hierzu grundsätzlich ausgeführt, dass die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen aufgezeigt hat, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.

Nachfahren kein standardisiertes Messverfahren

Die Sachrüge ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet, denn die im Urteil festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung beruht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht.

Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt.

Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht (und nicht justiert) war.

Wie der zumindest überwiegende Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung hält das KG die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer allerdings nicht für ein standardisiertes Messverfahren i. S. d. Rechtsprechung, sodass sich das Tatgericht in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss.

Von der Rechtsprechung entwickelte Richtlinien eingehalten

Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach muss die Messstrecke ausreichend lang und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleichbleibend und möglichst kurz sein; zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein.

Bei einer in Dunkelheit oder bei schlechten Sichtverhältnissen durchgeführten Messung sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten erforderlich. Bei Geschwindigkeiten von 90 km/h und mehr sollen die Urteilsfeststellungen belegen, dass die Messstrecke nicht kürzer als 500 m war.

Der Verfolgungsabstand soll zudem nicht mehr als 100 m betragen. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils gerecht.

Soweit der Abstand mit 150 m jedenfalls zeitweise über der Vorgabe von 100 m lag, ist zu berücksichtigen, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Richtlinien nicht starr anzuwenden sind und etwa eine längere Messstrecke die Fehlerquelle beim (zu großen) Abstand ausgleichen kann.

Eine derartige Kompensation war hier vorzunehmen, da die mitgeteilte Messstrecke die Mindestanforderungen von 500 m übersteigt.

Bei in Dunkelheit durchgeführter Messung sind grundsätzlich zusätzliche Angaben zu den Sicht- und Beleuchtungsverhältnissen erforderlich. Dass diese hier in den Urteilsgründen fehlen, gefährdet den Urteilsbestand nicht.

Denn ein Abstand von nicht weit über 100 m angesichts der gerichtsbekannten Beleuchtungsverhältnisse auf der A 100 im Berliner Stadtgebiet lässt noch nicht besorgen, dass die nachfahrenden Polizeibeamten nicht mehr in der Lage gewesen sein könnten, zu beobachten, ob der Abstand gleichgeblieben ist.

Bei Überschreitung von mehr als 40 % ist von Vorsatz auszugehen

Hinzu kommt, dass die Geschwindigkeit des Polizeifahrzeugs mit 160 km/h erheblich über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von hier 60 km/h lag, die Messstrecke mit 565 m ausreichend lang war und der Einfluss von Abstandsschwankungen auf das Messergebnis daher ohnehin als gering einzustufen war.

Das AmtsG hatte etwaigen Ungenauigkeiten durch einen großzügigen Toleranzabzug von 22,5 % Rechnung getragen und ist von einer Nettogeschwindigkeit von 124 km/h ausgegangen, die um 64 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit lag. Ferner war nichts dagegen zu erinnern, dass das AmtsG von einer vorsätzlichen Begehungsweise der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen ist.

Bei der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit drängt sich eine vorsätzliche Begehungsweise umso mehr auf, je massiver deren Ausmaß ist.

Insoweit kann nach dem gegenwärtigen Wissensstand auf den Erfahrungssatz zurückgegriffen werden, dass jedenfalls bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 %, hier beläuft sie sich auf mehr als 100 %, von Vorsatz auszugehen ist, sofern nicht besondere Umstände eine abweichende Wertung veranlassen.

Insbesondere war dem Betroffenen ausweislich der Urteilsgründe die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h auf dem Streckenabschnitt der Bundesautobahn A 100 bewusst. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Rechtsfolgenentscheidung wendet, blieb sie ebenfalls erfolglos.

(…)

Kammergericht Berlin, Beschl. v. 27.02.2023 – 3 ORbs 31/23, 3 ORbs 31/23 – 122 Ss 16/23

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz 12/2024, Rn. 101.