Sicherheit

Test Inventur

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Kriminalitätsbild Ladendiebstahl

Ein scheuer Blick nach links und rechts – und schon ist der Artikel in der Tasche verschwunden. Ein Vorgang, der sich im Bereich der Polizeidirektion Hannover, der
neben der Landeshauptstadt die Landkreisstädte Langenhagen und Laatzen umfasst, viele tausend Male im Jahr abspielt. Die Polizeistatistik 2001 listet 8.034 Fälle von Kunden- und Personaldiebstahl auf, so der Polizeipressesprecher Hans-Joachim Elsner.

Das ist nur die Spitze des Eisberges, denn die erheblich größere Dunkelziffer ist nicht berücksichtigt. Mario Krupp, ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des Ladendiebstahls, geht davon aus, dass auf jeden ertappten Ladendieb 20 unentdeckte Fälle kommen. Eine Rechnung allerdings, die für Wiederholungstäter – und das sind die meisten – auf lange Sicht nicht aufgeht. Da die Verlustfelder besonders ins Visier genommen werden, „wird früher oder später jeder erwischt“.
Die Quote der entdeckten Delikte ist seit Jahren nahezu gleich geblieben. Wurden nach Angaben der Polizei Hannover 1995 9.405 Fälle von Ladendiebstahl festgestellt, waren es 1998 und 1999 10.033 beziehungsweise 7.544 Delikte. Im Jahr 2000 langten Ladendiebe 8.034-mal zu.

Wer sind sie, die Leute, die Artikel aller Art ohne Bezahlung durch Kassen oder Personalausgänge schleusen? Sozial Bedürftige sind in den Täterbildern eher unterrepräsentiert. Die lange gehegte Vorstellung, dass aus existentieller Not gestohlen wird, ist heute gründlich widerlegt.
Elektronische Warensicherungssysteme, Videoüberwachungssysteme und Kaufhausdetektive
haben dazu beigetragen, Licht in das Dunkel zu bringen, das dieses Kriminalitätsfeld lange
umgab. Da die High-Tech-Fangmittel bei allen Dieben Alarm auslösten und nicht nur bei solchen, die danach aussahen, gab es bald eine neue „Soziologie“ der Täter. Alle stahlen sie, vom Schüler bis zum Pensionär, vom Azubi bis zum Manager. Manche Verkäufer, die bis dato vor allem Jugendliche ins Visier genommen hatten, mussten gründlich umdenken.

Täter und Fallbeispiele

Die Polizei weiß, dass es schwer nachvollziehbare Motivlagen gibt. Der Betuchte, der eine Schachtel Zigaretten stahl, und die gut gekleideten wohlhabenden Damen, die einen Lippenstift mitgehen ließen, alles ist schon da gewesen. „Das geht durch alle Bevölkerungsschichten“, so der Polizeisprecher. Und manchmal gebe es nur eine Erklärung, die Kleptomanie, den krankhaften Zwang zum Stehlen, oder ganz einfach die Sucht nach Nervenkitzel.

Zuweilen kommen die Diebe aber auch aus einer anderen Richtung: Krupp stellt fest, dass „der Wert der angegriffenen Waren immer höher wird“. Ein untrügliches Zeichen für die zunehmende Aktivität von Banden und Tätern, die auf Bestellung stehlen. Auch Promis sind darunter, sogar Showstars und amtierende Politiker fallen immer wieder als Langfinger auf.

Beim Personal sind es durchaus nicht nur geringe Einkommen, die den Einstieg in kriminelle
Karrieren fördern. Dr. Ullrich Westerhagen, Geschäftsführer des Verbandes für Sicherheit
in der Wirtschaft (VSWNds), Hannover, berichtet vom Fall einer „langjährigen und – wie man meinte – treuen Verkäuferin in einem namhaften Konfektionsgeschäft mit Kollektionen aus dem oberen Preissegment“. Obwohl sie gut verdiente, bestahl sie ihren Arbeitgeber über Jahre. Bei der Hausdurchsuchung wurden Konfektionen im Wert von über 10.000 Euro entdeckt, die noch nicht „weiterverwertet“ worden waren. Der Verkaufstrick der diebischen Angestellten: Sie bekomme hochpreisige Markenware zum günstigen Personalrabatt, doch die Sachen passten ihr nicht, warb sie im Bekanntenkreis für den Absatz. „Die Klamotten gingen weg wie warme Semmeln“, so ein Insider.

Wirtschaftlicher Schaden

Diese Fälle werfen nur ein Schlaglicht auf ein ausuferndes Kriminalitätsfeld, das zu den Massenphänomen gehört. Die Statistik offenbart bedrohliche Lagebilder, wie Westerhagen verdeutlicht. Durchschnittlich 50 Euro Diebesgut landen hochgerechnet Jahr für Jahr in jedem bundesdeutschen Haushalt. „Auf den Lebensmittelhandel projiziert bedeutet das, dass jeder 200. Einkaufswagen unbezahlt an der Kasse vorbeigeschoben wird“.
Diebische Kunden bilden längst die Minderheit im Diebstahlsgeschehen. Immer deutlicher überwiegen Personaldelikte: „Auf Fallstudien beruhende Schätzungen gehen davon aus, dass 76 Prozent des wirtschaftlichen Schadens direkt durch eigene Beschäftigte oder, wie es der Jurist ausdrückt, 'positives Tun' oder 'Unterlassen' verursacht wird“.

Der Schaden, der durch Personaldiebstahl entsteht, ist, auf die Einzelfälle bezogen, sehr viel höher als bei den Kundendelikten. Liegt der Wert der von den Kunden gestohlenen Waren zu 51,5 Prozent bei weniger als 12,50 Euro und im Durchschnitt bei 51,20 Euro, sind bei Diebstählen durch das Personal pro Fall 685,13 Euro anzusetzen.

Da verwundert es nicht, dass die Schadenssummen immens sind. Dem deutschen Einzelhandel ist im vergangenen Jahr durch Diebstahl ein Verlust von etwa drei Milliarden Euro entstanden, so die Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels (BAG) und des EURO-Handelsinstitutes (EHI).



 

Praxishinweise durch den Sicherheitsverband
  • Gegenstrategien müssen entwickelt werden, um weitere Schäden zu vermeiden.
  • Ladendiebstahl ist ein Kontrolldelikt. Es wird nur entdeckt, wenn der Spürsinn von Personal und Detektiven erfolgreich eingesetzt wird.
  • Wirksamer Schutz ist nur möglich, wenn durch Spezialisten auf der Basis einer Sicherheitsanalyse ein Sicherheitskonzept erstellt wird, das individuell auf das Unternehmen mit seinen Organisationen und Arbeitsabläufen abgestellt ist.
  • Ein weiterer Ansatzpunkt ist die elektronische Sicherung: Mit Hilfe entsprechender Technologien wird eine Halbierung der Inventurdifferenzen für möglich gehalten.
  • Der VSW hilft dem Einzelhandel bei der Prävention, aber auch, „wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“. Zur wirksamsten Präventionsstrategie gehören Mitarbeiterschulungen.