Anfang Juni 2013 sorgten die Enthüllungen des ehemaligen Mitarbeiters der US-amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA, Edward Snowden, für einen Skandal. Snowden berichtete aus als „top secret“ eingestuften Unterlagen, dass sowohl die USA als auch das Vereinigte Königreich seit Jahren großflächig Daten der Telekommunikation und des Internets global überwachen und auf Vorrat speichern. Zu den Ausgespähten zählt unter anderem Deutschland. Das Ausmaß dieser Überwachungsaffäre muss auch Auswirkungen auf die Debatte zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland haben. Diese wurde trotz einer verbindlichen EU-Richtlinie aus datenschutzrechtlichen Gründen bislang nicht in nationales Recht umgewandelt.
Ausmaß der Enthüllungen Snowdens
Während die Affäre um die Abhörmaßnahmen der NSA neben den aktuellen Landtags- und Bundestagswahlen in Deutschland die Medien beherrschen, sind die Proteste bislang überschaubar. Erst im September fand eine größere organisierte Protestaktion statt. In Berlin demonstrierten ca. 15.000 Menschen gegen die Methoden NSA. Insofern fiel der gesellschaftliche und politische „Aufschrei“ deutlich leiser aus, als anzunehmen gewesen wäre. Denn allein in Deutschland soll die NSA rund 500 Millionen Datensätze über Telefonate und Internetnutzung pro Monat erfasst haben. Nach Angaben von Snowden sollen die Daten über Telekommunikations- und Online-Dienste erfasst und gespeichert worden sein. Dies betreffe E-Mails, Fotos, Dokumente und Chats aus direktem Zugriff u.a. auf die Server von Microsoft, Apple, Google, Facebook und Skype, was diese allerdings bislang dementieren. Können Snowdens Angaben bewiesen werden, stellen die Maßnahmen, neben den angeprangerten Spionagetätigkeiten, eine sehr ausgeprägte Form der Vorratsdatenspeicherung dar, die bislang in Deutschland nicht zulässig ist.
Rechtliche Dimension der Vorratsdatenspeicherung
Die von Edward Snowden geschilderten Methoden könnten eine Verletzung des Briefgeheimnisses sowie das Post- und Fernmeldegeheimnisses gem. Art. 10 Grundgesetz (GG) darstellen.
Die gesetzlich verbürgte Unverletzlichkeit beinhaltet ein explizites Verbot des unbefugten Abhörens, Unterdrückens, Verwertens oder Entstellens von Fernmelde- (Fernschreib-, Fernsprech-, Funk- und Telegrafen-) Botschaften. Zusätzlich schützt der Wortlaut des § 88 Abs. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG) die „unkörperliche Vermittlung von Informationen“ an die Empfänger und damit auch Verkehrs- und Übertragungsdaten. Das entsprechende Verbot findet sich in § 206 Abs. 5 Strafgesetzbuch (StGB). Allerdings zählen die Daten nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs nicht mehr zum Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses.
Auf diesen Aspekt zielte die geplante Umsetzung der EU-Richtlinie 2006/24/EG zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung ins deutsche Recht ab. Danach sollten die Ermittlungsbehörden Verbindungsdaten von den Anbietern der Provider herausverlangen können, sofern der Verdacht auf eine Katalogtat nach § 100 a Abs. 2 StPO vorliegt und die Herausgabe richterlich angeordnet wurde. Das Bundesverfassungsgericht vertrat in seinem Urteil vom 02.03.2010 (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08) allerdings die Auffassung, dass die Einschränkungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses durch das TKG und die Strafprozessordnung (StPO) über die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind.
Europäische Sicht
Während die EU Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung in fast allen Europäischen Ländern in nationales Recht umgesetzt wurde, steht Deutschland nach Aufhebung der deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 02.03.2010 recht alleine da. Bisher wurde, obwohl das Urteil eine verfassungskonforme Umsetzung nicht ausschließt, die Richtlinie in Deutschland noch nicht umgesetzt.
Dies führte schließlich zu einer Klage der EU-Kommission, die die datenschutzrechtlichen Bedenken des Bundesverfassungsgerichts nicht teilt, gegen Deutschland im Mai 2012 vor dem Europäischen Gerichtshof. Inhaltlich begründet wurde die Klage auch mit der Behinderung der Polizeiarbeit und negativen Folgen für den EU-Binnenmarkt. Bis zur Übertragung der Richtlinie muss die Bundesregierung im Falle der Verurteilung ein tägliches Zwangsgeld in Höhe von 315.036,54 Euro zahlen – einen der höchsten Beträge, den die Kommission je in einem Verfahren zur Innenpolitik beantragt hat.
NSA-Methoden als Diskussionsimpuls?
Während sich Netzaktivisten und Demonstranten aufgrund der Darstellungen Snowdens bestätigt sehen, 2010 gegen die eingeführte Vorratsdatenspeicherung vorgegangen zu sein, fordern Kriminalisten in Deutschland eine neue und nüchterne Debatte zur Vorratsdatenspeicherung. Denn entgegen dem weitläufigen Verständnis, es handele sich um die Überwachung und Speicherung sämtlicher Daten durch die Sicherheitsbehörden, geht es um eine Zwischenspeicherung auf den Servern der Provider von Verkehrs- sprich Verbindungsdaten ihrer Kunden für mindestens sechs Monate. Diese können von Sicherheitsbehörden anlassbezogen und mit entsprechendem richterlichem Beschluss eingesehen werden. Es geht also nicht um die großflächige Speicherung und Sichtung der Daten durch deutsche Sicherheitsbehörden, sondern um die individuelle Herausgabe der Verbindungsdaten an die Ermittlungsbehörden, sofern eine Katalogtat nach § 100 a Abs. 2 StPO vorliegt und die Herausgabe richterlich angeordnet wurde. Kriminalisten fordern die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, die in keinem Verhältnis zu den Maßnahmen steht, wie die NSA sie ergriffen haben soll. Doch müsste dies der Öffentlichkeit transparent vermittelt werden, um so eine sachliche Debatte zu führen.
Quellen
- Die Wut der Überwachten wächst, Frankfurter Rundschau vom 07.09.2013
- Internetüberwachung: All das können XKeyscore, Tempora und Prism, Matthias Kremp, Spiegel online vom 01.08.2013
- NSA, GCHQ, Prism, Tempora, XKeyscore und Co. – Wenn der Staat zur Bedrohung wird oder: Der Zweck heiligt nicht die Mittel!, André Schulz, Bund Deutscher Kriminalbeamter vom 19.08.2013