Sicherheit

Pulverfass Ukraine und Naher Osten

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Anlässlich der Mitgliederversammlung des VSW-Baden-Württemberg hielt Dr. Volker Perthes einen Vortrag zum Thema „Pulverfass Ukraine und Naher Osten“. Dr. Perthes ist seit 2005 Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit und geschäftsführender Vorsitzender der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Das Forschungsinstitut berät in erster Linie die Bundesregierung in sicherheitspolitischen Fragen. Die folgenden Ausführungen fassen seinen Vortrag zusammen, in dem Dr. Perthes die Hintergründe derzeit brisanter Konfliktherde erläuterte und Lösungswege sowie Handlungsempfehlungen für die Politik aufzeigte.

Herausforderungen im internationalen System

Die fortschreitende Globalisierung bringt nicht nur Vorteile, sondern auch die weltweite Ausbreitung von Risiken und Bedrohungen mit sich. Regionale Bestrebungen, diesen Aspekt des Globalisierungstrends aufzuhalten (z.B. durch Abschaffung von G8 oder der Abschottung des europäischen Internets), werden daran nicht viel ändern können.

Die größte Herausforderung in diesem Zusammenhang ist, dass es zwar eine Globalisierung gibt, aber kein globales Management, welches sich der aus der Globalisierung entstehenden Probleme widmet. Vielmehr ist diese Aufgabe auf globale Mächte verteilt, namentlich China, USA, EU, Russland (zumindest bislang), Brasilien, Indien usw. Ein derartig breit aufgestelltes Machtgefüge birgt grundsätzlich Konfliktpotential.

Aufgrund der Globalisierung leben wir einerseits längst nicht mehr in einer reinen Staatenwelt, andererseits zeigt sich gerade in diesen Tagen, wie wichtig das Vorhandensein von Staaten ist. Vielerorts finden Protestwellen statt (z.B. in Brasilien, der Türkei, in Syrien und der Ukraine), die schlimmstenfalls zu einem Bürgerkrieg führen oder bereits dazu geführt haben. Was also soll die Welt tun? Und wie ist in diesem Zusammenhang mit dem Aspekt der Geopolitik, d.h., dem Streben nach Dominanz über geographische Räume, umzugehen?

Diese Fragen spielen derzeit insbesondere im Nahen Osten, im ostasiatischen Raum (China, Japan) sowie in Europa (Ukraine) eine Rolle.

Russland vs. Westeuropa

Das Verhalten Russlands auf der Krim stellt einen groben Bruch internationalen Rechts dar. Auch das vermeintliche Dahinterstehen der dortigen Bevölkerung vermag daran nichts zu ändern. Der Konflikt wird daher vermutlich auf längere Dauer ungelöst bleiben. Wie aber kam es überhaupt dazu?

Seit der Auflösung der UdSSR geriet die Ukraine immer mehr zum Konfliktherd: Die EU versuchte, die osteuropäischen Staaten, z.B. über Wirtschaftsabkommen, zu integrieren. Dieses als Integration gemeinte Vorgehen wurde von Russland als geopolitisches Streben der EU aufgefasst. Als Konsequenz setzt sich Putin seit zwei Jahren für ein eigenes Integrationsprojekt ein: die Zollunion zwischen Belarus, Russland und anderen osteuropäischen Staaten, die zu einer eurasischen Zollunion verschmelzen sollen. Auch die Ukraine sollte in diese Union aufgenommen werden.

Dann beging die EU einen folgenschweren Fehler: Das Land sollte sich zwischen Ost und West entscheiden. Die Ukraine ihrerseits war zwischen dem Wohlstand der EU auf der einen und der kulturellen Verwurzelung mit Russland hin- und hergerissen.

Die schließliche Weigerung von Janukowitsch, das Assoziationsabkommen über eine engere Partnerschaft und freien Handel mit der EU zu unterzeichnen, löste heftige Proteste auf dem Majdan aus. Der Sturz des ukrainischen Präsidenten, in den die Protestwelle zunächst gipfelte, wirkte auf Russland wie ein westlicher Putsch und Janukowitsch in den Augen Putins schwach. Dieses „Versagen“ beschloss Putin mit der Destabilisierung der Ukraine und dem in Russland populären territorialen Ziel – dem Anschluss an die Krim – zu sühnen. Zugleich sollte damit die Position Russlands als Großmacht unterstrichen werden. Diese Politik Putins wird vermutlich zunächst andauern. Europa seinerseits ist nun bestrebt, von den russischen Energielieferungen unabhängig zu werden.

Dass deswegen der Kalte Krieg zurückkommt, ist dennoch nicht zu befürchten. Denn 1. herrscht im Unterschied zu damals heutzutage keine Bipolarität, sondern eine Multipluralität zwischen Ost und West und zum 2. findet keine ideologische Polarisierung statt. Dennoch lassen sich die Auswirkungen der Krim-Krise auf das russisch-europäische Verhältnis nicht leugnen: die Hoffnung oder Erwartung Europas, dass kein europäischer Staat mehr militärische Mittel nutzt, um territoriale Interessen durchzusetzen und stattdessen vielmehr eine kooperative Sicherheitsordnung entsteht, wurde vorerst zerstört. Die gemeinsamen Interessen von Russland und Europa in Afghanistan und dem Iran hingegen bleiben bestehen.

Naher Osten: Syrien

In Bezug auf die Problematiken des Nahen Ostens denkt man momentan in erster Linie an Syrien. Noch ist der Westen bestrebt, sich aus dem dortigen Konflikt herauszuhalten. Denn Kernproblem der Situation ist das „schiefe“ Verhältnis zwischen Volk und Staat: Die junge Generation zwischen 15 und 35 Jahren, die ein Großteil der Bevölkerung ausmacht, stellt das alte System in Frage. Dies gilt für die gesamte Region von Marokko bis zum persischen Golf. Vieles spricht daher dafür, dass sich die Situation in der arabischen Welt verändern wird. Nur wohin?

Andererseits ist die Passivität des Westens immer schwerer zu rechtfertigen: Knapp 150.000 Menschen sind in Syrien bereits ums Leben gekommen und fast die Hälfte der 20 Millionen Einwohner befindet sich auf der Flucht. Damit liegt die bislang größte humanitäre Katastrophe des Jahrhunderts vor.

Hinzu kommt, dass ein Zerfall des Landes wahrscheinlicher wird, je länger der Krieg in Syrien andauert. Die nach dem Ende des osmanischen Reichs geschaffenen Grenzen würden damit zerfallen und auch die Grenzen der Nachbarländer Irak, Jordanien und Libanon in Frage gestellt werden. Im Gegensatz zum Ende des zweiten Weltkriegs würde es aber diesmal keine ordnende Großmacht geben, so dass vielmehr das Entstehen einer Unordnung in der Region zu befürchten ist. Mit dem Zerfall Syriens stürbe auch die Hoffnung, dass ein multikonfessionelles Land im Nahen Osten möglich ist.

Zweifacher Konsens nötig

Um den Krieg zu beenden, wäre ein Konsens von außen über zwei Punkte möglich:

1. die Einsicht, dass die bestehenden Grenzen im Nahen Osten beibehalten werden müssen und

2. die Einsicht, dass kein militärischer Sieg einer Nation bei gleichzeitigem Erhalt des Staates Syrien möglich ist.

Eine entsprechende Einigung müsste vornehmlich zwischen Saudi-Arabien, dem Iran, den USA und Russland erzielt werden. Denn die NATO bietet kein echtes Mittel zur Konfliktlösung und die EU wird zwar vielleicht mehr politische Verantwortung übernehmen und eventuell sogar geschlossener auftreten, aber vermutlich immer etwas später als notwendig agieren.

Russlands Interessen in Syrien gelten übrigens weder dem Hafen in Tartus noch Waffenlieferungen. Putin will vielmehr auch hier zeigen, dass es keine Regimewechsel durch das Volk gibt und Islamisten – genau wie in Tschetschenien – keine Chance haben.

Fazit

Folgende Politikempfehlungen können demnach getroffen werden:

  1. Syrien darf nicht weiter geopolitisiert werden, es muss ausschließlich um ein Ende des Mordens gehen.
  2. Der Nuklearstreit mit dem Iran muss beendet werden. Hierzu ist eine diplomatische Lösung notwendig (Russland hat daran mutmaßlich kein Interesse, um den Iran nicht als Gaslieferant auf den internationalen Markt kommen zu lassen).
  3. Auch in der Ukraine ist eine geopolitische Eskalation zu vermeiden und eine Stabilisierung anzustreben. Dabei ist aber stark auf die innenpolitischen Verhältnisse zu achten, um die Zerrissenheit nicht voranzutreiben. Eine Inklusion der ukrainischen Politik wäre hierzu nötig, Hilfe sollte daran gebunden sein.
  4. Im Verhältnis zu Russland steht eine „Periode der Kühle“ an, dennoch sollten die Türen für Studierende, Geschäftsleute und politische Wege (z.B.  in Bezug auf partielle Kooperationen) offengehalten werden.