Sicherheit

Die aktuelle Bedrohung deutscher Unternehmen im Irak

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50 Siemens-Mitarbeiter, darunter acht Deutsche, wurden am Sonntag, den 15. Juni 2014 mit Hubschraubern des irakischen Militärs und einem privat gecharterten Flugzeug aus einem durch die Rebellengruppe ISIS (Islamischer Staat im Irak und in Syrien) kontrolliertem Gebiet evakuiert. Dabei waren auch acht deutsche Staatsbürger betroffen. Denn in dem bewaffneten Konflikt werden auch internationale Mitarbeiter zum Ziel, wie das prominente Beispiel von 80 in Geiselhaft befindlichen türkischen Staatsbürgern deutlich macht.

Die derzeitige Offensive der ISIS destabilisiert die ohnehin fragile Sicherheitslage des Iraks und stellt nicht nur die Sicherheit der Bevölkerung, sondern auch politische Strukturen in Frage.

Der Irak als profitabler Markt

Das Potenzial des Irak als Wirtschaftsstandort ist grundsätzlich sehr groß, denn insbesondere für den Wiederaufbau der durch Kriegshandlungen zerstörten und durch Sanktionen vernachlässigten Infrastruktur, besteht weiterhin ein milliardenschwerer Aufholbedarf. Auch die Modernisierung des Öl- und Gassektors, der zugleich die nötigen Devisen für diese Investitionen bereitstellt, ist ein lukratives Geschäftsfeld. Dementsprechend ist die Neugier deutscher Unternehmen in den Schwerpunktbranchen Verkehr, Logistik, Bau und Stadtplanung groß. Denn: „Deutsche Expertise und Qualität sind international anerkannt und gefragt“ bemerkte der ehemalige Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Dr. Ramsauer anlässlich seiner Delegationsreise im Irak 2013, bei der ihn über 50 Wirtschaftsvertreter begleiteten. Der Außenhandelsbericht 2013 des statistischen Bundesamtes weist deutsche Exporte in den Irak mit über 1,33 Mrd. Euro aus.

Wie sicher ist das Geschäftsumfeld?

Trotz dieser Marktchancen ist der Irak aufgrund seiner fragilen Sicherheit – und dies bereits vor der aktuellen Staatskrise – kein einfach zu erschließendes Marktumfeld, erst recht nicht für Geschäftsaktivitäten deutscher Unternehmen. Denn die fortwährenden Terroranschläge waren zwar weitestgehend aus dem Fokus der deutschen Nachrichtenlandschaft gerückt, nicht jedoch aus dem Alltag im Land.

Im Vergleich dazu stellte bislang das kurdische Autonomiegebiet im Norden des Irak, insbesondere dessen Hauptstadt Erbil, eine Insel der Sicherheit dar. Auf dieser Basis entwickelte sich eine boomende Wirtschaftszone, die aufgrund des rasanten Wachstums und den städtebaulichen Modernisierungen auch als das „neue Dubai“ tituliert wird. Dadurch werden weltweit Investoren angelockt und auch deutsche Unternehmen bevorzugen diese Region für ihr Engagement mit Geschäftsbeziehungen zu Kooperationspartnern, eigenen Projekten und sogar Niederlassungen vor Ort.

Sind die Investitionen und vor allem die Mitarbeiter bedroht?

Aktuell versteht es sich von selbst, das gesamte Land als äußert unsicher einzustufen. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes wurde veröffentlicht. Selbst Erbil ist ausdrücklich eingeschlossen, eine Region, die zuvor stets als vergleichsweise sicher bewertet wurde. Hintergrund ist nicht zuletzt die Eroberung von Mosul und Teilen von Kirkuk durch Truppen der ISIS. Die Metropolen liegen beide nur knapp 100 km von Erbil entfernt. Die Bedrohung von Expats in Erbil ist also buchstäblich zum Greifen nah. Seriös kann derzeit keine feste Bewertung getroffen werden, ob Kampfhandlungen in den bislang sicheren Hafen Erbil übergreifen können. Zum einen sind die Entfernungen zwar extrem gering, aber zum anderen sind die Offensiverfolge der ISIS nicht nach klassischen Militärgrundsätzen nachvollziehbar. Denn die Eroberung der Millionenstadt Mosul durch wenige hundert Kämpfer ist nur durch die vollständige Auflösung der Kampfmoral erklärbar. Damit ist zum einen die Flucht der regulären irakischen Sicherheitskräfte gemeint, zum anderen und viel entscheidender jedoch deren Kooperation mit den sunnitischen Glaubensbrüdern.

Der ISIS stehen nun aber die kurdischen Perschmerga (Die dem Tod ins Auge Sehenden)  gegenüber. Die ehemalige Guerrilla-Truppe gleicht heute in Umfang (über 100.000 Kämpfern) und Ausrüstung (ca. 1.000 gepanzerte Fahrzeuge und Panzer) de facto eher einer nationalen Armee. Entscheidend ist jedoch die Motivation der kampferprobten Truppen. Diese verteidigen ihre Hauptstadt und damit die opferreich erkämpfte kurdische Autonomie.

Vor diesem Hintergrund steht hier die Prognose, dass die Sicherheitslage zumindest in Erbil sich nicht wesentlich verschlechtern wird. Perspektivisch ist sogar eine Stärkung der Region zu erwarten. Die Kurden beweisen derzeit, dass sie als Stabilitätsanker unerlässlich sind. Entweder gewinnen sie mit der Unterstützung für die irakische Regierung  zusätzlichen Einfluss in Bagdad oder es wird sogar Vorschub für das eigentliche politische Ziel, nämlich die vollständige Souveränität, geleistet.

ISIS hingegen hat, entgegen dem Eindruck, den deutsche Medien aufgrund verknappter Meldungen vermitteln, weniger rein militärische Erfolge als politische, die auf der Unterstützung sunnitischer Sympathisanten fußt. Dementsprechend wird sich die nächsten Tage und Wochen zeigen, ob es den regulären Sicherheitskräften gelingen wird, die durchaus vorhandenen militärischen Potenziale zu konsolidieren.  Eine entscheidende Rolle wird selbstredend das internationale Umfeld, allen voran die USA, aber auch der Iran, einnehmen. Auch hier steht weniger die offensichtliche Bedrohung durch ISIS-Milizen im Fokus als vielmehr die Stabilität der Regierung unter Führung Malikis und damit mittelbar die strukturelle Stabilität des gesamten Staatswesens.

Das Fazit für Unternehmen, die derzeit Geschäfte im Irak unterhalten
  • Jedem Engagement in der MENA-Region, fraglos im Irak, wohnt zwangsläufig ein deutlich gesteigertes Risiko inne. Die Fähigkeit eines Unternehmens angemessen mit diesen Risiken umzugehen und notfalls auf Krisen reagieren zu können, ist wiederum der unternehmerische Vorteil, der den profitablen Markt erschließt.
  • Konkret ist jeder Firma jetzt zu empfehlen, die Geschäftsaktivitäten im Irak auf ein Minimum herunterzufahren und wirklich nur absolut unentbehrliche Expats vor Ort zu belassen. Letzteres selbstverständlich nur, wenn auch wirklich alle menschenmöglichen Sicherheitsmaßnahmen und Krisenvorbereitungen getroffen wurden. Eine Herausforderung für die Sicherheitsabteilung !
  • Da viele deutsche Unternehmungen sich bewusst auf Erbil konzentrieren, soll an dieser Stelle noch einmal das zuvor dargelegte betont werden: Der Irak bleibt selbst für die komplexesten Analysen unberechenbar. Aber zumindest stellt die Hauptstadt der Kurdenregion weiterhin den vergleichsweise sichersten Hafen für die getätigten Investments im Land dar.