Sicherheit

Terroristische Cyber-Attacken als Kriegsführung 2.0

Terroristen und das Internet

In der Nacht zum Donnerstag, den 9. April 2015, erschien auf der Twitter-Seite des französischen Senders „TV5 Monde“ eine Botschaft des “Cyber-Kalifat” mit Propaganda der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) und drohte via Facebook-Präsenz des Senders den Familien französischer Soldaten. Die Website war stundenlang nicht erreichbar und das komplette Fernsehbild fiel aus. Der Sender wurde von Hackern ferngesteuert.

Zu der Attacke auf „TV5 Monde“ hatten sich Hacker bekannt, die nach eigenen Angaben im Namen der Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) handelten. Es ist unstrittig, dass der gegenwärtige, transnationale Terrorismus ohne Computer und Internet nicht denkbar wäre. Doch die Frage, wie Terroristen das Internet nutzen, ob es in erster Linie als Medium zur Kommunikation und Koordination oder als Waffe und gleichzeitig Ziel ihrer Anschläge dient, beschäftigt Sicherheitsbehörden und Forscher spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001.

Terroristische Kriegsführung 2.0

Aus terroristischer Sicht sind Cyber-Attacken eine logische Fortsetzung der asymmetrischen, ungleichen Kriegsführung im virtuellen Raum. Sie nutzen die Attacken gegen die übermächtigen Gegner der feindlichen Demokratien. Terroristen wollen lang- und mittelfristige Schäden erwirken. Ein mittelfristiger Schaden können Senderausfälle, aber auch die Störung oder Unterbindung der Energieversorgung von Firmen oder Haushalten sein. Langfristige Schäden sind Angst vor weiteren, vielleicht gar schlimmeren Angriffen und Misstrauen in die Fähigkeiten des eigenen Landes, dessen Regierung den Schutz seiner Bürger nicht mehr gewährleisten zu können scheint.

Cyberattacken als Kampfstrategie bieten sich den Terroristen nahezu zwangsläufig an: die Anonymität des Netzes schützt sie, bietet ein Maximum an taktischem Hinterhalt, die Angriffe sind kostengünstig, nicht an zeitliche Einschränkungen gebunden und gehen ohne Verluste eigener Krieger einher. Zudem ermöglichen sie Zweckbündnisse und Kooperationen. Denn das Hacken von Internetseiten könnte seitens der Terroristen eingekauft worden sein, umgekehrt könnten die demonstrierten Kompetenzen der Terroristen aber auch als eine Art bezahlbare „Dienstleistung“ an andere Akteure mit staatsfeindlichen Interessen verkauft werden, um andere Arten terroristischer Propaganda zu finanzieren.

Die Reaktion des Westens als terroristischer Sieg

Die Cyber-Attacke in Frankreich hat veranschaulicht, dass Terroristen in der Lage sind, Medien zu kontrollieren. Nachdem die Pressefreiheit nach den Anschlägen auf die Redaktion des Satire Magazins „Charlie Hebdo“ in Paris zu Beginn des Jahres 2015 als immerwährender Sieg über Terrorismus und Unterdrückung gefeiert wurde, beweisen die Islamisten, dass sie auch in der Lage sind, diese Freiheit zu stören und  auszuhöhlen.

Die Reaktionen auf den Schrecken waren groß: Schon am Vormittag des 9. April 2015 traten drei französische Minister im Fernsehen auf und zeigten ihr Entsetzen über die unvorhergesehene Tat. Damit haben die Terroristen einen taktischen Sieg in mehrerer Hinsicht errungen:

  • sie erhalten wieder einmal weltweite Aufmerksamkeit,
  • sie schockieren und erschrecken ihren westlichen Feind nachhaltig und
  • sie zeigen, wie verwundbar dieser auch virtuell ist.

Zudem dominieren sie eine Überlegenheit, die ihnen aufgrund ihrer religiös mehr als reaktionären Haltung nicht zugetraut wurde.

Einschätzung und Ausblick

Der Angriff auf den Sender „TV5 Monde“ dürfte nur die Ouvertüre für weitere Cyber-Angriffe auf unterschiedliche Adressaten der westlichen Welt sein. Für europäische Sicherheitsbehörden kommt der Angriff indes nicht überraschend. In Deutschland hat man mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und dem Nationalen Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) bereits erste Versuche unternommen, um auf solche Gefährdungen besser und schneller reagieren zu können; auch wenn vor allem das NCAZ bislang als mangelhaft in seiner tatsächlichen Umsetzung kritisiert wurde.

Inwiefern dies ausreicht, welche Kompetenzen und Abteilungen wie ausgebaut werden müssen, wird die Zukunft zeigen. Deutlich bedrohlicher als die Manipulation eines Fernsehsenders sind beispielsweise Angriffe auf die Infrastrukturen der Energie- und Versorgungstechnik sowie Atomanlagen. Ein „Super-Gau“ waren die Attacke auf „TV5 Monde“ somit noch lange nicht, aber ein Vorgeschmack des Möglichen.

Allerdings führt auch dies zu potentiellen „Bündnissen“ einer neuen Art auf staatlicher Seite, die sicher nicht intendiert waren: Das mitunter behördenkritische Hacker-Kollektiv „Anonymus“ greift nun Internetpräsenzen der Terroristen an, um diese in der Verbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie zu behindern. Somit führen die Cyber-Attacken zur Unterstützung staatlicher Mechanismen durch privat-agierende Organisationen und einzelner Akteure, was außerhalb des Internet kaum möglich wäre.

Praxishinweise:

  • Cyber-Attacken sind eine reale Bedrohung für westliche Infrastrukturen, die zu mittel- und langfristigen Schäden führen können.
  • Die Bandbreite terroristischer Kriegsführung offenbart sich durch die Kompetenz von Hacker-Angriffen, die beispielsweise auch für finanzielle Zwecke terroristischer Propaganda genutzt werden können.
  • Die Reaktionen auf die Cyber-Attacken sind maßgeblich für den Erfolg der Terroristen.  
Quellen:

Goetz, J. / Leyendecker, H.: Rechnungsprüfer halten Cyber-Abwehrzentrum für “nicht gerechtfertigt”, auf: Süddeutsche.de vom 7. Juni 2014 (zuletzt aufgerufen am 14. April 2015).  

● Jansen, J.: Eine Sicherheitstür, die niemand abschließt, auf: faz.net vom 10. April 2015 (zuletzt aufgerufen am 14. April 2015).