Sicherheit

Zweites Lagebild zur Clankriminalität in NRW

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Im August 2020 wurde das neue Lagebild zur Clankriminalität für das Berichtsjahr 2019 vorgestellt. In diesem wurden insgesamt ca. 6.100 Straftaten von 3.800 Verdächtigen registriert. Dies entspricht rein zahlenmäßig einem Zuwachs von etwa 33 Prozent, sowohl an Straftaten, als auch an Tatverdächtigen in NRW. Allerdings gibt es Neuerungen in der Erfassung, so dass die Jahre nicht einfach miteinander verglichen werden können. Doch auch ohne die neu erfassten Delikte bleibt ein registrierter Anstieg um +12,7 Prozent an Straftaten und um +13,4 Prozent der Tatverdächtigen gegenüber dem Vorjahr. Dennoch können Aussagen über ein Ansteigen oder Sinken der Clankriminalität auf dieser Basis nicht undifferenziert getroffen werden.

Methodik und neue Zählweise

Zur Darstellung eines komplexen Kriminalitätsphänomens wie Clankriminalität reicht die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) nicht aus. Um Bezüge zwischen Personen, Gruppen und der verübten Delinquenz herzustellen und diese zu analysieren, bedarf es daher eines Lagebildes. Bildete das erste Lagebild zur Clankriminalität in Nordrhein-Westfalen noch die Jahre 2016-2018 ab, bezieht sich das zweite nur auf das Jahr 2019. Bei der namensgebundenen Recherche werden folglich nur Daten von Personen berücksichtigt, die

  1. einen abgestimmten Clannamen besitzen,
  2. als Tatverdächtigte polizeilich erfasst werden und
  3. eine spezifische Staatsangehörigkeit besitzen (nämlich die libanesische, deutsche, türkische oder syrische, oder Staatenlose bzw. Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit).

Ausgewertet werden alle Straftaten, die im Rahmen eines Anfangsverdachts bei der Polizei – unabhängig vom Ermittlungsergebnis – aktenkundig sind. Dies stellt einen weiteren Unterschied zur PKS dar, in welcher Straftaten erst nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen bei Aktenabgabe an die Staatsanwaltschaft erfasst werden.

Die genutzte namensgebundene Recherche ist mit Einschränkungen verbunden, die bei der Betrachtung der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen: Einige Personen verwenden neben ihrem libanesischen auch ihren aus der Migrationshistorie existierenden türkischen Familiennamen. Wenn dies nun Namen mit einer sehr hohen Verbreitung sind, können auf Basis des Namens alleine keine Rückschlüsse auf eine Clanzugehörigkeit geschlossen werden. Auch unterschiedliche Schreibweisen innerhalb von Familien erschweren die Ermittlung der Zugehörigkeit. Die Zuordnung zur Abbildung im Lagebild soll mit künftiger Einordnung eines Clanbezuges von Tatverdächtigen bereits in der polizeilichen Sachbearbeitung erleichtert werden.

Das neue Lagebild wurde methodisch weiterentwickelt und fußt auf einer anderen Datenbasis. Eine Vergleichbarkeit zwischen dem Lagebild Clankriminalität NRW 2018 und dem hier vorgelegten Lagebild ist daher nur eingeschränkt möglich. So werden im zweiten Lagebild zur Clankriminalität nun u.a. auch schwere Verkehrsdelikte wie Unfallflucht, Fahren ohne Führerschein und illegale Autorennen erfasst.

Zentrale Ergebnisse

Wurden im ersten Lagebild über die Berichtsjahre 2016-2018 104 Namen mit Clanbezug ausgewiesen, werden im Berichtsjahr 111 Namen gezählt. Gegenüber dem ersten Clan-Lagebild aus dem Vorjahr stieg die Zahl der registrierten Straftaten von 4.595 (2018) auf 6.104 und die Anzahl der erfassten Tatverdächtigen von 2.832 auf 3.779. Davon sind 569 der Tatverdächtigen ein Resultat der neuen methodischen Weiterentwicklungen.

Die Zählung der Verkehrsstraftaten schlägt sich mit 837 registrierten Delikten nieder, 88 neu erfasste Delikte ergeben sich durch andere Straftaten, die durch Tatverdächtige mit einem Familiennamen aus der erweiterten Namensliste berücksichtigt wurden.

Ohne die neu erfassten Delikte bleibt dennoch ein registrierter Anstieg von +12,7 Prozent an Straftaten gegenüber dem Vorjahr und um +13,4 Prozent der Tatverdächtigen. Das bedeutet nicht automatisch, dass die Kriminalität zugenommen hat, sondern kann den verstärkten Kontrollmaßnahmen geschuldet sein. Dies zeigt der Bezug zur Organisierten Kriminalität, die auch als „Kontroll“- oder „Hol-Kriminalität“ bezeichnet wird: In NRW habe demnach mittlerweile jedes fünfte Verfahren gegen organisierte Kriminalität einen Clan-Bezug. Genau dies sind die Taten, die hinsichtlich Ausmaß und Entwicklung nur schwer beurteilt werden können.

Durch die interbehördlichen Kontrollen im Zuge der „Taktik der 1.000 Nadelstiche“ verzeichneten die Strafverfolger 1.400 Kontrollaktionen mit dem Schwerpunkt im Ruhrgebiet, 570 Festnahmen sowie 10.000 Verwarngelder. Der mutmaßliche Tatertrag liege in diesen Fällen bei 6,4 Millionen Euro. 1,4 Millionen Euro seien abgeschöpft worden. Bei Verfahren wegen Drogenhandels gegen Clan-Mitglieder seien unter anderem drei Kilogramm Heroin sichergestellt worden. Inzwischen habe jedes fünfte Verfahren gegen organisierte Kriminalität in NRW einen Clan-Bezug. Wenngleich die Straftaten sich zu 70 Prozent in einem Umkreis von fünf Kilometern der Wohnadressen der Verdächtigen ereignen, sind demnach in Fällen der organisierten Kriminalität nun auch Auslandsbezüge erkennbar.

Clan-Hotspot im Ruhrgebiet bleibt Essen mit 852 registrierten Delikten, gefolgt von Recklinghausen (585), Gelsenkirchen (534) und Duisburg (320).

Fazit

Das Lagebild für das Berichtsjahr 2019 kann nicht ohne Weiteres mit den Zahlen der Vorjahre verglichen werden. Die Aufnahme der Verkehrsdelikte ist ein richtiger Schritt, da Clanmitgliedern dadurch besonders im öffentlichen Raum in Erscheinung treten, wie die Zahlen des Lagebildes belegen. Zudem werden Kriminalitätsphänomene nun umfassender dargestellt. Das neue Lagebild ist analytischer und zeigt mehr an Zusammenhängen auf. Neu ist zudem eine Erweiterung in Form exemplarisch dargestellter Fälle und der Verlauf einer kriminellen Karriere, die die Bandbreite und Komplexität des Phänomens Clankriminalität plastischer veranschaulichen.

 

Verwendete Quelle:

●LKA NRW (Hrsg.): Clankriminalität Lagebild NRW 2019, hier online verfügbar (abgerufen am 24.08.2020).

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