Grundlagen Rechtliches

Kein digitales Zugangsrecht von Gewerkschaften zum Betrieb

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Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung werden Rufe lauter, Gewerkschaften elektronische Zugänge zum Betrieb zu ermöglichen. Die nachfolgende Entscheidung stellt klar, dass Arbeitgebern zumindest keine Pflichten zum aktiven Handeln zugewiesen werden können.[1]

In einem Telekommunikationsunternehmen forderte ein nicht tariffähiger Berufsverband, der nach seiner Satzung Arbeitnehmer unterstützt und berät sowie Beamte in Betrieben der Berufssparten Telekommunikation und Informationstechnik vertritt, das Unternehmen dazu auf, vor dem Hintergrund der – auch durch die Pandemie überwiegend im Homeoffice oder im Außendienst arbeitenden – Belegschaft und deren angeblich schlechtere Erreichbarkeit Informationsmails zum Zwecke der Werbung für Betriebsratskandidaten an die Belegschaft zu versenden. Inhaltlich sollten die E-Mails auf die Tätigkeit des Berufsverbandes hinweisen und Werbungen und Informationen über ihn beziehungsweise Kandidaten zur Betriebsratswahl 2022 enthalten.

In dem Unternehmen existiert ein Telearbeits-Tarifvertrag, nach dem die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) im Intranet des Telekommunikationsunternehmens gewerkschaftliche Informationen hinterlegen könne, auf die die Telearbeiter nach eigener Entscheidung grundsätzlich zugreifen könnten. Das Unternehmen weigerte sich mit dem Argument, es sei zur Neutralität in Bezug auf Betriebsratswahlen verpflichtet. Zudem enthalte die internetbasierte Kommunikationsplattform als virtuelles Schwarzes Brett, die allen Beschäftigten zugänglich sei, auch eine Seite, auf die der Berufsverband Inhalte einstellen könne.

Der Berufsverband vertrat die Auffassung, er habe einen Anspruch auf die Versendung von E-Mails mit Informationen durch das Telekommunikationsunternehmen, die er in autonomer inhaltlicher Verantwortung dem Unternehmen zukommen ließ. Dieser Anspruch ergebe sich aus der grundgesetzlich geschützten Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, auch wenn dem Berufsverband die Tariffähigkeit fehle. Betriebsfrieden und Betriebsablauf würden auch bei Versendung der E-Mails gewahrt bleiben. Die Aufgabe des klassischen betrieblichen Arbeitsplatzes und die Situation der weltweiten Pandemielage führten unabdingbar dazu, dass das Interesse des Berufsverbandes an der Versendung der E-Mails durch das Unternehmen dessen Interessen aus Art. 14 GG überwiege. Aus Datenschutzgründen verlange der Berufsverband gerade nicht die Weitergabe der betrieblichen E-Mail-Adressen der Beschäftigten unmittelbar an ihn. Auch bestehe ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit der Verdi.

Das Telekommunikationsunternehmen stritt eine entsprechende Handlungspflicht ab und wies darauf hin, dass es sich bei dem Berufsverband um eine nicht tariffähige Koalition handle. Nach der Rechtsprechung bestimmten auch bei der E-Mail-Versendung von Koalitionen allenfalls Duldungs-, aber keine Handlungspflichten der Arbeitgeber. Der Berufsverband scheiterte mit dem Versuch, seinen vermeintlichen Anspruch im Klagewege durchzusetzen. Das Arbeitsgericht stellte zunächst klar, dass auch die Mitgliederwerbung ebenso wie die Information von Mitgliedern und Nichtmitgliedern über Aktivitäten der Vereinigungen zu den geschützten Tätigkeiten gewerkschaftlicher Organisationen nach Art. 9 Abs. 3 GG gehöre.

Wenn eine Gewerkschaft jedoch bei der von ihr gewählten Art und Weise der Mitgliederwerbung und Information auf die Inanspruchnahme von Eigentum oder Betriebsmitteln des Arbeitgebers angewiesen sei, kollidiere dies mit dessen Rechtspositionen aus Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG in Gestalt des Rechts auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit. Es bedürfe deshalb einer Abwägung zwischen den verschiedenen Interessen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei eine tarifzuständige Gewerkschaft jedenfalls berechtigt, E-Mails auch ohne Einwilligung des Arbeitgebers und ohne vorherige Aufforderung seitens der Arbeitnehmer an die betriebliche E-Mail-Adresse ihrer Mitglieder zu versenden, es sei denn, es ginge nur um einen Wahlkampfaufruf.

Im vorliegenden Fall gehe es jedoch nicht allein um eine Duldung der Versendung von Informationen zur Betriebsratswahl 2022 an die dem Berufsverband bekannten E-Mail-Adressen. Vielmehr sei der Antrag auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet, vom Kläger zur Verfügung gestellte E-Mails ohne eigene Prüfung an alle bei ihr Beschäftigte zu versenden. Diese Versendung stelle einen gewichtigen Unterschied zur Duldung dar, denn es gehe um eine aktive Handlungspflicht zugunsten des Berufsverbandes.

In diesem Fall überwiege das Recht der Beklagten auf ihre wirtschaftliche Betätigungsfreiheit. Darüber hinaus habe der Kläger keine Beschränkung dahingehend getroffen, wie viele E-Mails an welchen Adressatenkreis verwendet werden sollen. Der zeitliche Aufwand für die Beklagte überschreite den Anspruch auf Duldung der Nutzung. Die Beklagte wäre gezwungen, einen entsprechenden E-Mailverteiler einzurichten, diesen immer auf dem aktuellen Stand zu halten und schließlich Ressourcen zum Versand der ihr zur Verfügung gestellten E-Mails zur Verfügung zu stellen.

Schließlich differenziere der Antrag nicht danach, ob die Beschäftigten, an welche die E-Mails versandt werden sollten, überhaupt von dem persönlichen Geltungsbereich der Vereinigung erfasst seien. Der Versand durch Beklagte sei nicht von der grundgesetzlich geschützten Betätigungsfreiheit gedeckt. Auch sei durch die Weigerung der Beklagten der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt, denn nach dem bestehenden Tarifvertrag sei nur der Hinweis auf eine Gewerkschaftsadresse notwendig. § 2 Abs. 2 BetrVG könnten den Anspruch auch nicht begründen, weil diese Vorschrift auf Zugang zum Betrieb die hier fehlende Tariffähigkeit voraussetze.

Praxistipp

Entsprechende Forderungen von gewerkschaftlichen Vereinigungen auf eine Art „elektronischen“ Zugang zum Betrieb können nach dieser Entscheidung zurückgewiesen werden. Diese Schlussfolgerung dürfte unabhängig davon sein, ob der Tarifvereinigung eine innerbetriebliche elektronische Plattform zur Verfügung gestellt ist, über die die Belegschaft zu diesen Vereinigungen gelangen kann.

 

Entnommen aus RdW-Kurzreport 22/2022, Rn. 361.

[1] ArbG Bonn, Urteil vom 11.05.2022 – 2 Ca 93/22.