Gefahrenabwehr Rechtliches

Videoüberwachung einer städtischen Anlage

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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof urteilte im Fall der Klage gegen die Videoüberwachung einer städtischen Anlage, dass ein Anspruch auf Unterlassung bestehe, weil die Voraussetzungen für eine Überwachung der Anlage als öffentliche Einrichtung der Stadt nicht gegeben seien.

Sachverhalt

Der Kläger ist in P. wohnhaft und benutzt unter anderem in Zusammenhang mit privaten und beruflichen Tätigkeiten die städtische Anlage „P. K.garten“ (nachfolgend: K.garten). Der K.garten ist ein zentral gelegener öffentlicher Platz in unmittelbarer Nähe zum Zentralen Omnibusbahnhof und zur Universität.

Er ist von vier Seiten zugänglich und unmittelbar von Straßen umgeben. Auf dem Platz finden dienstags und freitags ein Wochenmarkt, jährlich das Volksfest „O. Dult“ sowie mit gewisser Regelmäßigkeit politische und kulturelle Veranstaltungen statt.

Darüber hinaus wird der K.garten hauptsächlich von Passanten wie dem Kläger durchquert. In den Sommermonaten dient er auch als Erholungsort. Dort befinden sich eine Brunnenanlage, Sitzmöglichkeiten und Rasenflächen sowie zwei große Wippen als Spielplatz für Kinder.

Installation einer Videoüberwachung

Der K.garten ist danach nahezu eben, größtenteils fein geschottert, von allen Seiten einsehbar und für Anwesende überschaubar. Bei Dunkelheit wird der K.garten vor allem durch im Boden eingelassene Strahler beleuchtet. Das im K.garten überwachte Areal ist rechteckig im Ausmaß von 60 m x 80 m.

Am 14.05.2018 beschloss der Stadtrat der Beklagten u. a. die Installation einer Videoüberwachung. Am 13.06.2019 erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, die Beobachtung des K.gartens mittels Bildübertragung sowie Aufzeichnung der Bilder zu unterlassen.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage am 06.08.2020 u. a. als unzulässig ab. Gegen das Urteil wendet sich der Kläger. Er beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die Videobeobachtung und Aufzeichnung von Videobildern des Klägers im K.garten zu unterlassen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Normen und Leitsatz

GG – Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1

DSGVO – Art. 2 Abs. 2 Buchst. d, Art. 79 Abs. 1

BGB – § 1004 Abs. 1 Satz 2

BayDSG – Art. 24 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Art. 28

1. Die Videoüberwachung einer kommunalen Einrichtung gemäß Art. 24 Abs. 1 BayDSG ist keine Maßnahme zur Strafverfolgung oder zur Gefahrenabwehr im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. d DSGVO. Die Datenschutz- Richtlinie für Justiz und Inneres (RL EU 2016/680 – sog. JI-Richtlinie) ist dafür nicht einschlägig.

2. Art. 79 Abs. 1 DSGVO schließt eine Unterlassungsklage betroffener Personen analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG gegen eine rechtswidrige Verarbeitung ihrer Daten nicht aus.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urt. v. 30.05.2023 – 5 BV 20.2104

Aus den Gründen

Die Videoüberwachung des Klägers im K.garten durch die Beklagte erweist sich zum maßgeblichem Zeitpunkt der Entscheidung des Senats als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, sodass er Anspruch auf Unterlassung hat.

Der Schutz kommunaler Einrichtungen wie auch sonstiger in Art. 24 Abs. 1 BayDSG bezeichneter Gebäude und Orte durch eine Videoüberwachung ist keine Maßnahme zur Strafverfolgung oder zur Gefahrenabwehr im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. d. DSGVO. Die speziellere Datenschutz-Richtlinie für Justiz und Inneres (JI-Richtlinie, a. a. O.) ist daher nicht einschlägig.

Dass mit einer Videoüberwachung nach Art. 24. Abs. 1 BayDSG auch die Verhütung von Straftaten einhergeht, steht der Anwendbarkeit der Datenschutz-Grundverordnung nicht entgegen. Eine Videoüberwachung – außerhalb des privaten Bereichs – dient regelmäßig der Abwehr von Gefahren und der Verhütung von Straftaten.

Anspruch auf Unterlassungsklage

Das sind berechtigte Interessen, wenn eine Gefährdungslage besteht, die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht. Bei öffentlichen Einrichtungen kommt noch die Unterbindung sonstigen nicht normgerechten Verhaltens entsprechend den jeweiligen Satzungsbestimmungen oder Hausordnungen für die Einrichtung hinzu.

Dass die Videoüberwachung nicht nur dergleichen verhindern will, sondern ggf. auch – durch Identifikation des Täters – die Strafverfolgung ermöglichen will, steht dem Ziel der Prävention nicht entgegen.

Die Beklagte handelt hier gerade nicht als Stelle oder Einrichtung, der durch das Recht der Mitgliedstaaten die Ausübung öffentlicher Gewalt und hoheitlicher Befugnisse für die Zwecke der JI-Richtlinie übertragen wurde.

Art. 79 Abs. 1 DSGVO schließt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts eine Unterlassungsklage betroffener Personen nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG bei Verletzung ihres Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung durch eine rechtswidrige Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten nicht aus (wird ausgeführt).

Keine Rechtfertigung der Videoüberwachung

Die Videoüberwachung des Klägers im K.garten der Beklagten stellt eine Datenverarbeitung im Sinne der DSGVO dar. Sie bedarf einer Rechtfertigung entsprechend den Bestimmungen in Art. 6 DSGVO, da nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO die Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig ist, wenn mindestens eine der in Abs. 2 geregelten Bedingungen erfüllt ist.

Da die Voraussetzungen des auf der Rechtsgrundlage von Art. 6 Abs. 2 Buchst. e, Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO erlassenen Art. 24 Abs. 1 BayDSG für die Videoüberwachung des Klägers im K.garten der Beklagten aber nicht vorliegen und Wiederholungsgefahr besteht, hat der Kläger einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG wegen Eingriffs in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, hier in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. e DSGVO ist eine Verarbeitung nur rechtmäßig, wenn die Verarbeitung für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Diese Voraussetzung ist erfüllt, soweit eine Kommune eine Videoüberwachung nach Art. 24 BayDSG in rechtmäßiger Weise betreibt.

Interessen der Betroffenen überwiegen

Nach Art. 24 Abs. 1 BayDSG ist die Verarbeitung personenbezogener Daten mithilfe von optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) zulässig, wenn dies im Rahmen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder in Ausübung des Hausrechts erforderlich ist,

1. um Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum von Personen, die sich im Bereich öffentlicher Einrichtungen, öffentlicher Verkehrsmittel, von Dienstgebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen öffentlicher Stellen oder in deren unmittelbarer Nähe aufhalten, oder

2. um Kulturgüter, öffentliche Einrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel, Dienstgebäude oder sonstige bauliche Anlagen öffentlicher Stellen sowie die dort oder in deren unmittelbarer Nähe befindlichen Sachen zu schützen und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen beeinträchtigt werden.

Beim K.garten handelt es sich zwar um eine öffentliche Einrichtung, sodass eine Videoüberwachung zum Schutz der in Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BayDSG genannten Rechtsgüter grundsätzlich infrage kommt.

Die Videoüberwachung des K.gartens ist jedoch zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, insbesondere zum Schutz der in der Vorschrift genannten Rechtsgüter, nicht geeignet und erforderlich; im Übrigen überwiegen die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen.

(…)

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 3/2024, Lz. 811.