Sicherheit

Verkehrssicherungspflicht: Nicht jede denkbare Gefahr erfasst

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In dieser Entscheidung konkretisiert das Oberlandesgericht Frankfurt den Umfang der Verkehrssicherungspflichten des Grundstückseigentümers. Es betont, dass es nicht Aufgabe des Eigentümers ist, alle erdenklichen Risiken völlig gefahrlos zu beseitigen. Zu beachten ist, dass dem Nutzer eigene Sorgfaltspflichten aufzuerlegen sind, wenn die Gefahr für ihn erkennbar ist.

Eine Eigentümerin bewohnte ein Wohnhaus auf ihrem Grundstück und vermietete zugleich eine an das Haus angrenzende Garage an eine Mieterin. Entlang des Hauses der Eigentümerin verlief ein unbeleuchteter Steinweg, über den man zur Terrasse der Eigentümerin gelangen konnte. Im Februar 2021 begab sich die Mieterin – wie sie behauptete, auf Bitten der Pflegekraft der Eigentümerin – über den Steinweg zum Haus der Eigentümerin. Auf dem Rückweg stürzte sie auf dem nassen und mit Ästen, Laub und Moos bedeckten Steinweg und zog sich dabei eine Scham-, Sitz- und Kreuzbeinfraktur zu.

Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht?

Die Mieterin beabsichtigte, die Eigentümerin wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz zu verklagen. Wenn man Eigentümer einer Immobilie ist, ist man dazu verpflichtet, die davon ausgehenden Gefahren für Dritte zu beseitigen (Verkehrssicherungspflicht). Man haftet demnach nicht nur für Schäden, die aus aktiver Handlung hervorgegangen sind, sondern auch für solche, die aus einer Unterlassung resultieren. Dieser Grundgedanke ist in der Verfassung verankert, wo es heißt, dass Eigentum nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet (Art. 14 GG).

Klage hat keine Aussicht auf Erfolg

Um die Klage gegen die Eigentümerin erheben zu können, beantragte die Mieterin Prozesskostenhilfe beim Landgericht Frankfurt. Diese finanzielle Unterstützung wird generell gewährt, wenn die Klage hinreichend Aussicht auf Erfolg hat und die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint. Allerdings wiesen sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) die Anträge der Eigentümerin zurück, weil ein Anspruch auf Schadensersatz nicht gegeben sei und die Rechtsverfolgung damit keine Aussicht auf Erfolg habe.[1]

Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht

Dazu stellte das Gericht zunächst fest, dass die Eigentümerin grundsätzlich eine Verkehrssicherungspflicht bezüglich des Grundstücks und auch des Gebäudes treffe. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) seien jedoch nur Maßnahmen erforderlich, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Gefahren für Dritte abzuwenden. Es sei nicht möglich, jeder abstrakten Gefahr vorbeugend zu begegnen, so das OLG Frankfurt. Jede denkbare Gefahr auszuschließen, sei im praktischen Leben nicht erreichbar. Daher werde eine Haftung erst dann begründet, wenn ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergebe, dass Schädigungen eintreten könnten. In Fällen, in denen ein Schaden nur „unter besonders eigenartigen und entfernt liegenden Umständen“ denkbar sei, müssten keine Schutzvorkehrungen getroffen werden.

Verkehrssicherungspflicht erfasst nicht jede erdenkliche Gefahr!

Anhand dieser Maßstäbe seien keine weiteren Schutzpflichten der Eigentümerin geboten gewesen. Es sei nicht Aufgabe der Eigentümerin, alle erdenklichen Risiken zu beseitigen. Vielmehr müssten nur Vorkehrungen für die Gefahren getroffen werden, die für einen sorgfältigen Nutzer nicht erkennbar gewesen seien, mit denen dieser nicht rechnen müsse und auf die er sich nicht einrichten könne. Vorliegend sei für die Mieterin erkennbar gewesen, dass der Weg nicht als Zuwegung zum Wohnhaus gewidmet gewesen sei. Sie habe auch den eigentlichen Eingang zum Haus gekannt.

Zudem war der Mieterin bekannt, dass der Weg nicht näher ausgeleuchtet und mit Ästen, Blättern und Moos bedeckt war. Die Mieterin hätte ihre Sorgfaltspflichten „eingedenk der Unübersichtlichkeit der Bodenbeschaffenheit“ anpassen müssen, was sie nicht behauptet habe und danach nicht unterstellt werden könne.

Praxistipp

Wie diese Entscheidung sehr anschaulich darlegt, müssen Eigentümer nicht unbegrenzt für jegliche vom Grundstück ausgehende Gefahren haften. Nichtsdestotrotz ist es für jeden Eigentümer ratsam, sich über den Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflichten zu informieren. Grundsätzlich sind Eigentümer gehalten, in regelmäßigen Abständen das Grundstück auf Gefahrenquellen zu überprüfen und diese ggf. zu beseitigen.

Darunter fallen die Zugangs- und Gartenwege, die Zäune, der Eingangsbereich und das Treppenhaus. Auch für mögliche Gefahren auf dem Dach ist Vorsorge zu treffen, wie z.B. lockere Dachziegel oder Regenrinnen. Zudem müssen die auf dem Grundstück stehenden Bäume regelmäßig auf ihre Standfestigkeit sowie auf die Gefahr abbrechender Äste überprüft werden. Besonders interessant wird es bei Gehwegen und Bürgersteigen, die unmittelbar am Grundstück angrenzen. Denn in der Regel übertragen die Städte und Gemeinden die Räum- und Streupflichten bei Schnee und Eis auf den Hauseigentümer.

Dazu lohnt sich ein Blick in das jeweilige Straßenreinigungsgesetz oder eine Nachfrage bei der Kommune. Ist man dieser Verpflichtung nicht nachgekommen und stürzt ein Fußgänger auf dem Gehweg vor dem Grundstück, zieht das die Haftung des Hauseigentümers nach sich.

 

Entnommen aus RdW-Kurzreport, 1/2023, Rn. 17.

[1] OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 08.09.2022 – 17 W 17/22.