Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt im Allgemeinen nur dann am Ende des Kalenderjahrs bzw. mit Ablauf des Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub jedoch gleichwohl nicht nimmt (BAG).
Hintergrund ist die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union1 (EuGH), wonach den Arbeitgeber die Obliegenheit trifft, die Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass sie ihren Urlaub im Urlaubsjahr, ggf. im Übertragungszeitraum zu nehmen haben; versäumt er den Hinweis, verfällt der nicht genommene Urlaub nicht und kann auch später noch vom Arbeitnehmer beansprucht werden. Wie nicht anders zu erwarten war, hat das Bundesarbeitsgericht2 nun diese Rechtsprechung übernommen und den Fall des Wissenschaftlers, der in den Jahren 2012 und 2013 weder Urlaub beantragt noch genommen hatte, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht muss nun aufklären, ob der Arbeitgeber den Wissenschaftler aufgefordert hatte, den Urlaub zu nehmen und ihn auch klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hatte, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums erlischt.
Arbeitgeber muss auf Urlaubsverfall hinweisen
Das Bundesarbeitsgericht hat noch einmal hervorgehoben, dass nach der bisherigen Rechtslage der Urlaub am Jahresende bzw. am Ende des Übertragungszeitraums verfallen sei, wenn er nicht bis dahin gewährt und genommen werde. Das galt nach der bisherigen Rechtsprechung selbst für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren.
Die neue Rechtsprechung des EuGH führe dazu, dass das Bundesarbeitsgericht das deutsche Urlaubsrecht weiterentwickle. Da nach § 7 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz dem Arbeitgeber vorbehalten sei, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen, müsse demzufolge der Arbeitgeber aktiv werden. Zwar zwinge diese Vorschrift den Arbeitgeber nicht dazu, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren. Der Arbeitgeber trage aber die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Er sei gehalten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, den bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu gehöre die ausdrückliche Aufforderung, dies zu tun. Der Arbeitgeber habe klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.
Praxistipp:
Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung keine Hinweise gegeben, wie die Arbeitgeber diese Obliegenheit konkret umsetzen müssen. Es ist anzunehmen, dass allein die Nennung der Zahl von Urlaubstagen, beispielsweise in der monatlichen Gehaltsabrechnung, nicht ausreicht, um diese Obliegenheit zu erfüllen. Vielmehr dürfte ein individueller Hinweis an jeden einzelnen Arbeitnehmer erforderlich sein. Nach heutiger Einschätzung dürfte es ausreichen, jeden Arbeitnehmer ein Mal pro Urlaubsjahr aufzufordern, seinen Urlaub im Kalenderjahr vollständig zu nehmen, soweit kein Übertragungstatbestand vorliegt. Es dürfte nicht notwendig sein, eine solche Aufforderung mehrmals vorzunehmen.
Da die Aufforderung auch „rechtzeitig“ zu erfolgen hat, empfiehlt es sich, eine individualisierte Mitteilung spätestens nach dem Ende der Herbstferien vorzunehmen. Die Rechtzeitigkeit wäre sicherlich nicht gewahrt, wenn die Aufforderung erst im Dezember eines Urlaubsjahrs erfolgte.
1 Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 06.11.2018 – C-619/16 und C-684/16
2 Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15, besprochen in RdW 11/2019, Rn. 198.