Versucht sich ein Autofahrer unter grober Missachtung sämtlicher Geschwindigkeitsbeschränkungen mit hohem Tempo einer Polizeikontrolle zu entziehen, kann diese »Polizeiflucht« als »verbotenes Kraftfahrzeugrennen« zu bestrafen sein (OLG Stuttgart).
Ein Autofahrer flüchtete gegen 4:00 Uhr morgens mit seinem Pkw vor einer Streifenwagenbesatzung der Polizei, die ihn einer Verkehrskontrolle unterziehen wollte und ihm deshalb ein Haltesignal angezeigt hatte. Als er den Streifenwagen und das Haltesignal erkannt hatte, beschleunigte der Autofahrer sein Gefährt, um eine möglichst hohe Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch die ihn nun mit Blaulicht, Martinshorn und Haltesignal »Stopp Polizei« verfolgenden Polizeibeamten abzuhängen. Hierbei fuhr er mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch einen innerörtlichen Bereich. Hierbei nutzte er auch die Gegenfahrbahn, missachtete eine Rot anzeigende Ampel und setzte seine Fahrt statt mit erlaubten 50 km/h mit mindestens 145 km/h fort; hierbei wurde er von einer Geschwindigkeits-Messanlage geblitzt.
Nach dem Ortsausgang raste er trotz Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 – 180 km/h weiter. Allein um des schnelleren Fortkommens willen waren ihm die anderen Verkehrsteilnehmer völlig gleichgültig.
Da die verfolgenden Polizeibeamten ohne Gefährdung Anderer die Verfolgung nicht weiter durchführen konnten, mussten sie die Nachfahrt abbrechen. Durch das Foto der Radaranlage konnte der Fahrer ausfindig gemacht werden. Das Amtsgericht verurteilte ihn wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Geldstrafe; ihm wurde überdies die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein einbehalten. Zudem wurde eine Sperrfrist von neun Monaten für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis festgesetzt. Dies wollte der betroffene Autofahrer nicht hinnehmen und ging gegen das amtsgerichtliche Urteil vor. Beim Oberlandesgericht Stuttgart1 hatte er damit jedoch keinerlei Erfolg.
Gesetzliche Neuregelung von Kraftfahrzeugrennen
Seit Oktober 2017 existiert ein neuer Straftatbestand: »Verbotene Kraftfahrzeugrennen«.
Hiernach ist strafbar, wer im Straßenverkehr
- ein nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen ausrichtet oder durchführt,
- als Kfz-Führer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt oder
- sich als Kraftfahrzeugführer mit nichtangepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen …
Im vorliegenden Fall war nunmehr das Oberlandesgericht Stuttgart der Auffassung, dass auch Fälle der sog. »Polizeiflucht« – wie im vorliegenden Fall – dem neuen Straftatbestand, und zwar in Nr. 3, unterfallen können
Absicht, die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen
Damit bestätigten die OLG-Richter die Verurteilung durch das Amtsgericht. Dieses habe insbesondere fehlerfrei festgestellt, dass der flüchtige Autofahrer in der Absicht gehandelt hatte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dies verlange nicht etwa die Absicht, das Fahrzeug mit objektiv höchstmöglicher Geschwindigkeit zu fahren, es also bis zu seinen technischen oder physikalischen Grenzen auszufahren. Ausreichend sei vielmehr das Abzielen auf eine relative, eine nach Sicht-, Straßen- und Verkehrsverhältnissen möglichst hohe Geschwindigkeit. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, müsse auch nicht etwa der Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein. Vielmehr könne auch in Fällen der »Polizeiflucht« eine Strafbarkeit im Sinne der Strafvorschrift vorliegen.
Sowohl der Gesetzeswortlaut als auch die Gesetzesbegründung sprechen dafür, auch die Polizeiflucht als tatbestandsmäßig anzusehen. Schließlich sei sie von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die für die Schaffung des Straftatbestands erforderlichen besonderen Risiken wiederfinden, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liege. Die risikobezogene Vergleichbarkeit mit den sportlichen Wettbewerben liege auf der Hand.
Nach Einschätzung des Oberlandesgerichts wäre es vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Vorschrift – Abgrenzung zwischen Fahrten mit Renncharakter und erhöhtem Gefährdungspotenzial einerseits zu bloßen Geschwindigkeitsüberschreitungen andererseits – sinnwidrig, für eine Strafbarkeit bei identischer Fahrweise allein danach zu differenzieren, welche Motive die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, letztlich ausgelöst hatten. Somit war die Bestrafung des Autofahrers nach dem neuen Straftatbestand »verbotene Kraftfahrzeugrennen« rechtens.
1 Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 04. 07. 2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19, besprochen in RdW 22/2019.