Rechtliches

Krankheit länger als sechs Wochen: Darlegungslast des Arbeitnehmers

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Dauert eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen, kann ein Arbeitnehmer verpflichtet sein, seinem Arbeitgeber detaillierte Angaben darüber zu machen, welche Ursache die Erkrankung hat, insbesondere, ob es sich um eine Fortsetzungserkrankung handelt.[1]

Ein Mitarbeiter ist seit Anfang 2012 in der Gepäckabfertigung an einem Flughafen beschäftigt. Im Zeitraum vom 01.01.2020 bis 18.08.2020 war er an 42 Kalendertagen erkrankt. Seine Arbeitgeberin stellte mit Ablauf des 17.08.2020 die Entgeltfortzahlung ein. Für unstreitige zehn Tage der weiteren krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ab dem 18.08.2020 verlangte der Mitarbeiter die Entgeltfortzahlung von knapp 900 € brutto. Er vertrat die Auffassung, er habe stets ärztliche Atteste vorgelegt, die als Erstbescheinigungen zu verstehen seien. Vorerkrankungen aus denselben Gründen hätten nicht vorgelegen.

Aus Datenschutzgründen sei er nicht verpflichtet, sämtliche Diagnosen gegenüber seiner Arbeitgeberin offenzulegen. Eine Aufstellung der Fehlzeiten der Krankenkasse könne zwar dem Gericht vorgelegt werden, es müsse aber sichergestellt werden, dass die Arbeitgeberin diese Bescheinigung nicht erhielte. In der Bescheinigung war aufgeschlüsselt, an welchen Krankheiten der Mitarbeiter litt. Im streitigen Zeitraum waren Schlafstörungen und ein Erkältungsschnupfen ursächlich für die Arbeitsunfähigkeit. Es gab nach dem 18.08.2020 noch weitere Arbeitsunfähigkeiten bis in den September 2020 hinein.

Seine Arbeitgeberin bestritt, dass die Arbeitsunfähigkeit ab dem 18.08.2020 nicht im Zusammenhang mit den vorhergehenden Erkrankungen gestanden habe und auch keine anrechenbaren Vorerkrankungen vorgelegen hätten. Es sei deshalb Sache des Mitarbeiters, hierzu Stellung zu nehmen. Der Mitarbeiter habe im Kalenderjahr gerade einmal an 21 Tagen tatsächlich gearbeitet und auch nur teilweise die Diagnosen mitgeteilt. Danach könne von einem einheitlichen Grundleiden ausgegangen werden. Während das Arbeitsgericht der Klage in vollem Umfang stattgab, verhalf das Landesarbeitsgericht der Berufung der Arbeitgeberin zum Erfolg und wies die Klage ab.

Bedingter Anspruch auf erneute Entgeltfortzahlung bei Fortsetzungserkrankung

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG habe ein Arbeitnehmer immer dann einen weiteren Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruhe. Der Entgeltfortzahlungsanspruch sei in einem solchen Fall nicht auf eine Gesamtdauer von sechs Wochen pro Jahr beschränkt. Sei eine Erkrankung nicht ausgeheilt, sondern habe das Grundleiden latent weiterbestanden, sei eine neue Erkrankung aber als Fortsetzungserkrankung zu verstehen. Ein erneuter Entgeltfortzahlungsanspruch entstünde bei einer Fortsetzungserkrankung nur, wenn der Arbeitnehmer erneut mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig gewesen oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten verstrichen sei.

Bestünde die Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen, sei die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend, weil sie keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthielte. Der Arbeitnehmer müsse deshalb darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliege. Dafür könne er auf eine ärztliche Bescheinigung zurückgreifen. Bestreite der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliege dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlaubten, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Dabei habe der Arbeitnehmer den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung seien vom Arbeitgeber zu tragen.

Vortragspflicht des Arbeitnehmers zu Zeiten der Arbeitsunfähigkeit

Im vorliegenden Fall sei der Kläger der abgestuften Darlegungslast nicht vollständig nachgekommen. Seine Arbeitgeberin habe sich darauf berufen, dass sie aus dem Gesichtspunkt einer Fortsetzungserkrankung und dem Grundsatz der „Einheit des Verhinderungsfalls“ zu keiner weiteren Entgeltfortzahlung verpflichtet sei. Entgegen seiner Verpflichtung habe der Kläger nicht zu sämtlichen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im maßgeblichen Jahreszeitraum vorgetragen. So sei der Zeitraum vom 24.08.2019 bis zum 23.09.2020 offen geblieben, was die Ursachen der Erkrankung angehe.

Zwar gehörten Gesundheitsdaten eines Arbeitnehmers zum geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ein Eingriff durch die Obliegenheiten zum prozessualen Vortrag sei aber sowohl nach der Datenschutzgrundverordnung als auch dem Bundesdatenschutzgesetz gerechtfertigt. Denn es müsse der „Justizgewährleistungsanspruch“ gesichert werden. Aus diesem Grunde sei es auch nicht zulässig, bestimmte Daten nur dem Gericht und nicht auch dem Prozessgegner mitzuteilen. Auch dürfe ein Arbeitnehmer mangels rechtssicherer Beurteilung keine „Vorab-Auswahl“ darüber treffen, welche Diagnose er mitteile.

Schließlich könne von Arbeitgebern auch nicht verlangt werden, sich zunächst bei der Krankenkasse über das Bestehen einer Fortsetzungserkrankung zu erkundigen. Eine solche Pflicht bestehe nicht und würde auch nur im Verhältnis zu gesetzlich versicherten Arbeitnehmern greifen können. Deshalb müsse der Kläger sämtliche Krankheitsdiagnosen aufschlüsseln, was hier nicht geschehen sei.

Praxistipp

Dauert eine Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen, kann die Entgeltfortzahlung zunächst gestoppt und ein Arbeitnehmer unter den oben aufgezeigten Voraussetzungen verpflichtet werden, offen zu legen, ob eine Fortsetzungserkrankung vorliegt.

 

Entnommen aus RdW-Kurzreport, 20/2022, Rn. 328.

[1] Hessisches LAG, Urteil vom 14.01.2022 – 10 Sa 89/21.