Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hatte in einem Berufungsverfahren über die Frage zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen die Polizei ein Motorrad zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sicherstellen darf.
Einer Funkstreifenwagenbesatzung der Polizei waren lautstarke Motorengeräusche aufgefallen. Wie sich schnell herausstellte, lieferten sich zwei Motorräder auf einer Ortsverbindungsstraße, auf der die Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt ist, ein Rennen.
Nach der persönlichen Einschätzung der Polizeibeamten seien die beiden Motorräder mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km/h gefahren. Im Zuge einer Verfolgungsfahrt konnte einer der beiden Fahrer gestellt werden. Sein Motorrad stellten die Beamten samt Fahrzeugschlüssel und Zulassungsbescheinigung sicher.
Strafrechtliche Ahndung
Das zuständige Amtsgericht erließ gegen den Fahrer einen Strafbefehl, in dem es ihm zu Last legte, gemeinschaftlich handelnd als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilgenommen zu haben (§ 315d Abs. 1 Nr. 2, § 25 Abs. 2 StGB). Es setzte hierfür eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen à 25,00 € fest.
Zuvor war der gegen den Sicherstellungsbescheid vom 03.02.2022 erhobene Widerspruch des Fahrers zurückgewiesen worden.
Gefahr weiterer illegaler Straßenrennen
Mit seiner Klage macht der Motorradfahrer geltend, die Sicherstellung sei rechtswidrig erfolgt, da keine gegenwärtige Gefahr vorgelegen habe. Er habe noch nie an einem illegalen Kraftfahrzeugrennen teilgenommen.
Wie auf dem von der Dashcam des Einsatzwagens aufgenommenen Video erkennbar sei und sich darüber hinaus aus Berechnungen ergebe, könne die von den Polizeibeamten angenommene Geschwindigkeit nicht vorgelegen haben.
Zum Zeitpunkt der Kontrolle habe überdies dichter Verkehr geherrscht, sodass auch aus diesem Grund das Fahren mit hoher Geschwindigkeit gar nicht möglich gewesen sei. Das Verwaltungsgericht Neustadt (VG) an der Weinstraße hat die Klage mit Urteil vom 14.02.2023 abgewiesen (VG Neustadt, Urt. v. 14.02.2023 – 5 K 692/22).
Es hält die Sicherstellung für rechtmäßig, da zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine gegenwärtige Gefahr vorgelegen habe. Diese habe darin bestanden, dass der Kläger mit seinem Motorrad erneut Straftaten im Straßenverkehr begehen würde; insbesondere seien weitere illegale Straßenrennen zu befürchten gewesen.
Präventive Sicherstellung
Das VG hätte der Klage stattgeben müssen. Der Sicherstellungsbescheid des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zwar kann, wie hier geschehen, eine präventiven Zwecken dienende Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz – POG – grundsätzlich neben einer Sicherstellung bzw. Beschlagnahme nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (sog. doppelfunktionale Maßnahme) angeordnet werden. Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrades des Klägers lagen hier indes nicht vor.
Nach § 22 Nr. 1 POG können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Unter einer polizeilichen Gefahr ist eine Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung führen würde.
Dabei sind vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nicht nur die Individualrechtsgüter wie Leib, Leben und Eigentum anderer erfasst, sondern auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung. § 22 Nr. 1 POG enthält mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr eine zusätzliche Qualifizierung der Eingriffsvoraussetzungen.
Begriff der gegenwärtigen Gefahr
Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strengere Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts. Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.
An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.
Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus.
Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die Ex-ante-Sicht entscheidend. Auch für die der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsanordnung zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage ist maßgeblicher Zeitpunkt der bei Vornahme der Sicherstellungsanordnung.
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OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.04.2024 – 7 A 10988/23
Den vollständigen Beitrag lesen Sie im RdW-Kurzreport 21/2024, Rn. 314.