Rechtliches

Grundstücksnachbarn haben nur das Recht auf Einhaltung der nachbarschützenden Bauvorschriften

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Das Verwaltungsgericht (VG) hatte die Klage einer Grundstücksnachbarin mit dem Antrag, die erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Garage auf dem Nachbargrundstück vom 04.12.2019 aufzuheben, im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die angefochtene Baugenehmigung verletze subjektiv-öffentliche Rechte der Grundstücksnachbarin nicht.

Ob sich das Vorhaben objektiv, d. h. hinsichtlich derjenigen Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, als rechtmäßig darstelle, sei hier unbeachtlich. Das Bauvorhaben verstoße insbesondere nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts.

Grundlage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens sei § 34 Baugesetzbuch (BauGB). In diesem Zusammenhang sei unerheblich, ob sich das Bauvorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung oder der überbaubaren Grundstücksfläche einfüge, denn insoweit handele es sich regelmäßig, wie dies auch hier der Fall sei, um nicht nachbarschützende Aspekte. Das genehmigte Bauvorhaben verstoße auch nicht zu Lasten der Grundstücksnachbarin gegen das Rücksichtnahmegebot. Die Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks der klageführenden Nachbarin würden nicht eingeschränkt.

Angesichts der Einhaltung der Abstandsflächen scheide ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot im Hinblick auf Beeinträchtigungen aus, vor denen das Abstandsflächenrecht schütze. Von einer erdrückenden Wirkung des Bauvorhabens auf das Grundstück der klageführenden Nachbarin könne schon aufgrund der Tatsache, dass es die Höhe des bestehenden Wohnhauses unterschreite und straßennah in einer Entfernung von ca. 20 m zu diesem errichtet werde, nicht ausgegangen werden.

Gestaltung des Ortsbildes kommt keine Nachbarrelevanz im Sinne subjektiv-öffentlicher Rechtspositionen zu

Auch aus städtebaulichen Erwägungen könne nicht von einer Rücksichtslosigkeit gesprochen werden, da die Nachbarin grundsätzlich keinen Anspruch darauf habe, dass bestimmte städtebauliche Rahmenbedingungen oder gar Stilrichtungen in der Nachbarschaft gewahrt blieben. Aus rein gestalterischen Gesichtspunkten könne sie nachbarliche Abwehrrechte nicht herleiten, da der Gestaltung des Ortsbildes keine Nachbarrelevanz im Sinne subjektiv-öffentlicher Rechtspositionen zukomme.

Die Annahme, das Bauvorhaben werde zu einer unzumutbaren Verunstaltung führen, sei im Übrigen abwegig. Eine Rechtsverletzung ergebe sich auch nicht aus der von der Grundstücksnachbarin geltend gemachten Rechtswidrigkeit des Vorhabens im Hinblick auf den Anschluss an den Abwasserkanal. Weder beeinträchtige sie der Anschluss des Vorhabens an den vorhandenen Kanal noch werde durch die Errichtung des Vorhabens der Kanalanschluss ihres eigenen Wohnhauses beeinträchtigt.

Mit dem gegen dieses Urteil gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung hat die Grundstücksnachbarin beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) im Wesentlichen ausgeführt, dass „wenn aber schon die Baugenehmigung an sich rechtswidrig ergangen ist, kann das Gericht . . . nicht davon ausgehen, dass eine nachbarschützende Wirkung gegen eine rechtswidrige Baugenehmigung nicht existent sein soll“ bzw. „die nachbarschützende Wirkung besteht gerade darin, dass die Grundstücksnachbarin nicht damit rechnen muss, dass rechtswidrige Bebauungen stattfinden, die nicht den baurechtlichen Vorschriften entsprechen“.

Diese Aussagen der Zulassungsbegründung sind nach den Feststellungen des OVG bereits im Absatz verfehlt. Im Rahmen der Drittanfechtung einer Baugenehmigung ist nicht deren objektive Rechtmäßigkeit in den Blick zu nehmen, sondern es kommt allein darauf an, ob diese subjektiv-öffentliche Rechte der Grundstücksnachbarn verletzt.

Abgesehen davon hatte das VG entgegen der Annahme der Zulassungsbegründung nicht darauf abgestellt, dass die angegriffene Baugenehmigung nicht gegen baurechtliche Bestimmungen verstößt, sondern herausgestellt, dass keine nachbarschützenden baurechtlichen Bestimmungen verletzt sind.

Fehlen einer Ortsbesichtigung durch VG bemängelt, die Grundstücksnachbarin hatte allerdings sogar einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid zugestimmt

Aus den von der Antragsbegründung in diesem Zusammenhang in den Raum gestellten Aspekten, etwa dass der „ordnungsgemäße Verwaltungsweg“ bei Genehmigungserteilung nicht eingehalten worden sei, der Planungsausschuss nicht angehört worden sei, es fehle an einer „entsprechenden Beschlussempfehlung durch den Rat“ etc. ergeben sich ohnehin keine nachbarlichen Abwehrrechte.

Gleiches gilt, soweit die Grundstücksnachbarin moniert, dass hier eine „Vorgartenbebauung mit einem völlig anderen Bebauungsstil stattgefunden“ habe, da gestalterische bzw. stilistische Erwägungen regelmäßig, und so auch hier, allein dem öffentlichen Interesse dienen und nicht subjektive Rechtspositionen Einzelner begründen. Soweit die Grundstücksnachbarin der Sache nach rügt, das VG hätte nicht ohne Ortsbegehung und „optische Eindrucksgewinnung“ entscheiden dürfen, ist nicht erkennbar, dass die bereits erstinstanzlich anwaltlich vertretene Grundstücksnachbarin eine solche angeregt hätte.

Vielmehr hat sie ausdrücklich der Entscheidung durch Gerichtsbescheid zugestimmt. Einen allenfalls in besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommenden nachbarlichen Abwehranspruch wegen Verunstaltung dokumentieren die von der Nachbarin vorgelegten Fotos unbeschadet dessen ersichtlich nicht. Dass das Gericht ihrer Bewertung der Fotos nicht gefolgt ist, begründet schon deshalb keine ernstlichen Zweifel an der gerichtlichen Entscheidung. Nach alledem war der Antrag auf Zulassung der Berufung abzuweisen.

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.08.2021 – 2 A 1599/21.

 

Entnommen aus der Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz, 23/2022, Rn. 265.