Rechtliches

Straßenbauarbeiter zwar Verkehrsteilnehmer, aber kein Fußgänger

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Das OLG Celle hatte im Falle eines Verkehrsunfalls zu entscheiden, bei dem es zu einer Kollision zwischen einem Fahrzeug und einem Bauarbeiter kam, der während der Rotphasen für Pkw die Fahrbahn betrat und dort Markierungen setzte, wobei er sich vor dem Zusammenstoß ein Stück neben den Baken auf dem Fahrbahnbereich befand.

Sachverhalt

Der Sachverhalt ergibt sich aus den Gründen.

StVO – §§ 1, 25

Ein Straßenbauarbeiter, der auf der für den fließenden Verkehr freigegebenen Fahrbahn Markierungsarbeiten ausführt, ist als Verkehrsteilnehmer i. S. v. § 1 StVO anzusehen.

Ein Straßenbauarbeiter, der Markierungsarbeiten verrichtet, ist kein Fußgänger i. S. v. § 25 StVO.

Oberlandesgericht Celle, Urt. v. 16.11.2022 – 14 U 87/22

Aus den Gründen

Dem Kläger steht aufgrund des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls gegen die Beklagten ein Anspruch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz zu; im Übrigen haftet der Kläger für das Unfallgeschehen selbst.

Unstreitig kam es beim Betrieb des bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten und von der Beklagten zu 2 gehaltenen und gefahrenen Pkw im Straßenverkehr zu einer Kollision mit dem Kläger, wodurch dieser verletzt worden ist. Ein Fall des § 7 Abs. 2 StVG (Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt) liegt ersichtlich nicht vor.

Im Rahmen von §§ 9 StVG, 254 BGB ist in erster Linie das ursächliche Verhalten der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und dabei die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges zu berücksichtigen, wobei nur erwiesene Verursachungsfaktoren in die Abwägung einbezogen werden dürfen.

Die Abwägung setzt die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten voraus. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein. Der Kläger muss sich einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorwerfen lassen.

Kläger Verkehrsteilnehmer i. S. v. § 1 StVO

Allerdings erscheint diskutabel, ob der Kläger überhaupt als Verkehrsteilnehmer i. S. v. § 1 StVO anzusehen ist. Denn in der Rechtsprechung ist in ähnlichen Fällen eine Verkehrsteilnahme jedenfalls zum Teil verneint worden, z. B. bei Beschilderung einer Arbeitsstelle durch Arbeiter, Bauarbeiter als solche, Müllwerker, Personen, die sich zum Zweck der Straßenreinigung auf der Straße befinden.

Allerdings ist Verkehrsteilnehmer grundsätzlich jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, das heißt körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt.

Nach dem eigenen Bekunden des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Befragung durch das LG hat er sich bei seinen Arbeiten am Unfalltag dergestalt verhalten, dass er während der Rotphasen für Pkw die Fahrbahn betreten und dort Markierungen gesetzt hat, vor der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug habe er sich ein Stück neben den Baken auf dem Fahrbahnbereich befunden.

Der Kläger ist daher jedenfalls immer dann, wenn er sich außerhalb des durch Baken abgetrennten Baustellenbereichs auf der – freigegebenen – Fahrbahn aufhielt, als Verkehrsteilnehmer i. S. v. § 1 StVO anzusehen, mithin hier unmittelbar vor und im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls.

Der Kläger hat nach eigenem Bekunden zwar Warnkleidung getragen, aber seine Arbeit unmittelbar vor dem Unfall in vornübergebeugter Haltung verrichtet, d. h. Markierungen gesetzt und dabei den Oberkörper nach vorne und nach unten gebeugt. Er hat nicht auf den Verkehr geachtet.

Sorgfaltspflichtwidriges Verhalten

Nach dem Vortrag in der Klagschrift („rücklings“) und den entsprechenden unangegriffenen Feststellungen des Landgerichts (LG) arbeitete der Kläger zudem mit dem Rücken zu dem aus der Straße Am G. kommenden Verkehr. Die Beklagte zu 2 hatte unstreitig „Grün“, als sie von der Straße Am G. in die Unfallörtlichkeit einbog.

Angesichts dieser Umstände ist es nicht zu beanstanden, dass das LG dem Kläger ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten vorgeworfen hat. Es wäre zwingend geboten gewesen, für eine Absicherung zu sorgen und nicht ohne eine solche Absicherung auf der für den Fahrzeugverkehr freigegebenen Fahrbahn Markierungsarbeiten vorzunehmen und dabei nicht einmal auf den Verkehr zu achten (vgl. insofern auch die Richtlinien für die verkehrsrechtliche Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen, RSA, die umfangreiche Sicherungsmaßnahmen bei Arbeiten auf Straßen vorgeben und die dem Kläger bekannt sein müssen).

Arbeitsausführung unangemessen gefahrenträchtig

Durch das Vornüberbeugen und das Arbeiten mit dem Rücken zum fließenden Verkehr hatte der Kläger keine Chance, auf den Verkehr zu achten. Die Art und Weise der Arbeitsausführung durch den Kläger, wie geschehen, erscheint übermäßig und unangemessen gefahrenträchtig. Es waren im Übrigen andere Arbeiter auf der Baustelle anwesend, sodass auch die Möglichkeit bestand, zumindest mit deren Hilfe für eine Absicherung zu sorgen.

Angesichts der genannten Umstände kommt es nicht weiter darauf an, ob der Kläger als „Profi“ mit einer gesteigerten Sorgfaltspflicht anzusehen ist, wie das LG meint. Denn es ist für jedermann offensichtlich, dass das Verhalten des Klägers unangebracht gefahrenträchtig war und eine Absicherung geboten gewesen wäre.

Demnach kommt es auch nicht weiter auf die vom LG herangezogenen Gerichtsentscheidungen und die Einwände des Klägers hiergegen an. Denn maßgeblich für die vorstehende Wertung sind die konkreten Umstände des vorliegenden Falls.

Bauarbeiter kein Fußgänger i. S. v. § 25 StVO

Demgegenüber muss sich der Kläger aus Rechtsgründen nicht (auch) einen Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO vorwerfen lassen, wie das LG meint. Denn zu Recht macht der Kläger geltend, dass er kein Fußgänger i. S. v. § 25 StVO war. Fußgänger sind solche Verkehrsteilnehmer, die sich zu Fuß von einem Ort an einen anderen bewegen.

Personen, die sich zum Zweck der Straßenreinigung auf der Fahrbahn aufhalten, sind dagegen keine Fußgänger i. S. v. § 25 StVO, was sich aus dem Wortsinn und mittelbar auch aus der Sonderregelung des § 35 Abs. 6 Satz 1 und 4 StVO ergibt.

Hiernach haben Personen, die unter anderem bei der Reinigung von Straßen eingesetzt sind, bei ihrer Arbeit außerhalb von Gehwegen und Absperrungen auffällige Warnkleidung zu tragen. Für einen Bauarbeiter, wie hier, der auf einer Straße Markierungsarbeiten verrichtet, kann nichts anderes gelten.

Entnommen aus dem Neuen Polizei Archiv 10/2023, Rn. 920.