Organisations- und Führungskonzepte Rechtliches

Ausweitung der Feierzone

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Franz Dillmann, Leiter des Bürgeramts Köln-Rodenkirchen, hat sich mit der Frage beschäftigt, wie der wachsenden sog. Mediterranisierung des öffentlichen Raums zum Schutz der Rechte aller Beteiligten am besten begegnet werden kann.

Der öffentliche Straßenraum steht unter Dauerstress. Veranstaltungen allerorten. Die Außengastronomie ist pilzartig gewachsen. Sich inflationär vermehrende Weihnachtsmärkte locken Touristen in Scharen an. Auf spontanen oder episodischen Massenpartys wird Nähe gesucht. Sich türmende Beschwernisse und Zukunftssorgen wollen für Momente vergessen werden.

Die Devise lautet: Ausgelassen abseits vom digitalen Alltag zusammen mit anderen Gleichgesinnten auf öffentlichen Straßen, Plätzen und in Parks analog feiern – besonders heftig im Karneval oder Fasching. Die sog. Mediterranisierung des öffentlichen Raumes zählt zu den vielen nachwirkenden Effekten der Coronapandemie.

Vor allem in größeren Städten führt die Zunahme dieses Phänomens jedoch zu oft unzumutbaren Belastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner mit Unmengen an Müll, erheblichem nächtlichem Lärm und unbotmäßigem Urinieren. Das übliche Instrumentarium des Straßen- und Ordnungsrechts gerät an seine Grenzen.

  • Inwiefern ist das Recht geeignet, den neuen Entwicklungen zu begegnen?
  • Wie sollte der öffentliche Raum künftig gestaltet und genutzt werden, um die Städte urban und lebenswert zugleich zu machen?

Dem soll im Folgenden aus Sicht der Kommunen nachgegangen werden.

Doppelspur im Straßenrecht

Das herrschende Regelungssystem für den öffentlichen Straßenraum ist geprägt vom Dualismus von Straßenrecht und Straßenverkehrsrecht. Das Straßenrecht regelt die öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisse an Straßen, Wegen und Plätzen und betrifft die Bereitstellung und Unterhaltung von Straßen. Es dient in erster Linie dem Ausgleich der Nutzungsinteressen am öffentlichen Gut Straßenraum.

Das Straßenverkehrsrecht bezweckt dagegen schwerpunktmäßig die Sicherheit und Leichtigkeit des vom Straßenrecht ermöglichten Verkehrs, auch nach der nun streitigen Reform des Straßenverkehrsrechts. Es ist von der bundesweit geltenden Straßenverkehrs-Ordnung determiniert. Straßenrecht hingegen ist Sache der Länder.

Zentraler Begriff der erlaubten straßenrechtlichen Nutzung ist der antiquiert klingende Begriff des sog. Gemeingebrauchs. Gemeingebrauch bedeutet, dass der Gebrauch von öffentlichem Raum jedermann im Rahmen der Zweckbestimmung (Widmung) und der die Benutzung regelnden ordnungs- und verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet ist. Alles, was darüber hinausgeht, ist sog. Sondernutzung und bedarf der behördlichen Genehmigung.

Verkehr ist kommunikativ

Straßen dienen gemäß ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zunächst der Mobilität, sprich dem Verkehr im engeren Sinn. Mit Blick auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und anderer Grundrechte, insbesondere der Meinungs- und Kunstfreiheit aus Art. 5 GG, hat die Rechtsprechung die Rechtsfigur des sog. kommunikativen Verkehrs entwickelt. Dieser wird als Nutzung verstanden, „die den öffentlichen Straßenraum auch als Stätte der kommunikativen Begegnung, der Pflege menschlicher Kontakte und des Meinungs- und Informationsaustausches begreift“ (BVerwG, NJW 1990, 2011).

Akteure sind Fußgängergruppen, Straßenkünstler, Händler und vor allem in Wahlkampfzeiten auch Flugblattverteiler. Die Einbeziehung der kommunikativen Erscheinungsformen in den Gemeingebrauch setzt zweierlei voraus: Von der Zweck- und Zielrichtung her muss es sich noch um Verkehr handeln. Die jeweilige Betätigung darf zudem den Gemeingebrauch Dritter nicht beeinträchtigen und deren Rechte nicht verletzten.

Auch die massenhafte rein gesellige Zusammenkunft von Menschen im öffentlichen Straßenraum zählt insofern grundsätzlich zum kommunikativen Verkehr. Sie fällt hingegen nicht unter die Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1GG. Als reine Vergnügungsveranstaltung dient sie der Unterhaltung und nicht dem gesellschaftlichen Diskurs.

Heidenlärm um eine Kirche herum

Die Ordnungsämter der Städte haben alle Hände voll zu tun, bei strapazierter erlaubter kommunikativer Nutzung des öffentlichen Straßenraums die Rechte Dritter zu wahren. Dies gilt besonders für den Lärmschutz, respektive die Nachtruhe. Wie komplex und schwierig sich in der Praxis der erforderliche Ausgleich der Interessen gestaltet, zeigt ein prominenter Fall aus Köln, den das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) entschieden hat (OVG NRW, Urt. v. 28.09.2023, Az. 8 A 2519/18):

Seit dem Jahr 2005 halten sich zum Teil bis zu mehrere hundert Personen bis in die späten Nachtstunden auf dem Brüsseler Platz um eine innerstädtische Kirche herum auf, der sich zu einem „Szenetreffpunkt“ entwickelt hat. Vor allem an den Wochenenden kommt es zu erheblichen Lärmbelästigungen.

Anwesenheit eines privaten Sicherheitsdienstes

Unter Hinweis auf solche wandten sich Anwohner an die Stadt Köln. Diese verwies darauf, dass die Störung der Nachtruhe, von einzelnen Verstößen wie Grölen und Straßenmusik abgesehen, auf einem legitimen Verhalten der Besucher beruhe, gegen dass sie nicht ordnungsbehördlich einschreiten könne.

Mit den bisherigen Maßnahmen, insbesondere der regelmäßigen Anwesenheit eines privaten Sicherheitsdienstes, der die Situation beobachte und an die Besucher appelliere, die Nachtruhe zu beachten, habe sie alles ihr rechtlich Mögliche und Zumutbare unternommen.

Das Verwaltungsgericht Köln gab jedoch der daraufhin von mehreren Anwohnern erhobenen Klage statt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Stadt Köln hatte nun beim OVG NRW keinen Erfolg. Die Stadt will dagegen Beschwerde einlegen, um die Zulassung der Revision zu erreichen.

Grundrechte als Lärmschutzwall

Nach dem OVG NRW ergibt sich ein Anspruch der Anwohner auf Einschreiten gegen die nächtlichen Lärmbeeinträchtigungen – jeweils selbstständig tragend – aus dem öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch und aus der grundrechtlichen Schutzverpflichtung des Staates nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) bzw. Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentum).

Die Stadt Köln müsse, so das Gericht, effektive Maßnahmen zur Lärmreduzierung auf dem Brüsseler Platz ergreifen, um gesundheitsgefährdenden Lärm an den Wohnungen der Anwohner zur Nachtzeit zu unterbinden. Nach dem Landes-Immissionsschutzgesetz NRW seien von 22 bis 6 Uhr Betätigungen verboten, welche die Nachtruhe zu stören geeignet sind.

Auch wenn die Entscheidung über ordnungsbehördliche Maßnahmen grundsätzlich im Ermessen der Behörde stehe und es selbstverständlich Ausnahmen geben könne, etwa für die Karnevalstage, dürfe die Stadt hier unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände von einem Einschreiten nicht pauschal absehen.

Gesundheitsgefährdende Geräuschimmissionen

Die Kläger seien, was Lärmmessungen ergeben hätten, gesundheitsgefährdenden Geräuschimmissionen ausgesetzt. Die Messungen belegten eine regelmäßige unzumutbare Überschreitung nicht nur der für solche innerstädtischen Wohnnutzungen geltenden Richtwerte von 45 dB(A), sondern sogar der Schwelle der Gesundheitsgefahr von 60 dB(A) jeweils während der lautesten Nachtstunde bis weit nach Mitternacht.

Dies sei jedenfalls bei Geräuschen der hier vorliegenden Art der Fall, die in hohem Maße durch Pegelausschläge infolge von Schreien, Rufen, Grölen etc. gekennzeichnet und deshalb in besonderer Weise geeignet seien, den nächtlichen Schlaf zu stören. Auch mit Blick auf die Sozialadäquanz und Akzeptanz seien die Geräusche nicht zumutbar.

Die Geräuschimmissionen hielten sich hier – bereits angesichts ihrer Regelmäßigkeit und Höhe – nicht mehr in einem Bereich, der auch in einem innerstädtischen Gebiet, das in wesentlichem Umfang auch dem Wohnen dient, noch in den Grenzen des als sozial Üblichen und Tolerierbaren liegen könnte.

Maßnahmen zur Lärmreduktion nötig

Es seien daher rechtlich weitere Maßnahmen zur Reduzierung der Lärmbelastung der Anwohner nötig und möglich. Insoweit werde die Stadt Köln neben einem verstärkten Einsatz des Ordnungsamts, nötigenfalls mit Unterstützung der Polizei, auch zu erwägen haben, ob sie die Art und Weise der Benutzung des Platzes etwa durch ein – ggf. zeitlich beschränktes – Alkoholkonsumverbot im Wege einer Verordnung einschränke.

In Betracht kommt auch ein noch weitergehendes nächtliches Verweilverbot. Als letztes Mittel müsse sie sogar eine Sperrung des Platzes (etwa durch einen Zaun oder eine dichte Hecke) in Betracht ziehen.

(…)

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Hessen 3/2024, Rn. 24.