Rechtliches

Eine übliche Nebenwirkung ist kein Impfschaden

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Die Anerkennung eines Impfschadens setzt voraus, dass eine Impfreaktion ärztlich dokumentiert wird, diese über eine bloße übliche Nebenwirkung des verwendeten Impfstoffes hinausgeht und es letztlich zu einer Funktionsstörung kommt. Dies hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) in einer vielbeachteten Entscheidung hervorgehoben.

Der Frau wurde eine Auffrischungsimpfung verabreicht

Geklagt hat eine 1966 geborene Frau, die ihren erlernten Beruf wegen Asthma bronchiale hatte aufgeben müssen. Seither ist sie seit 25 Jahren bei einer Kommune als Reinigungskraft beschäftigt. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt. Unmittelbar vor der Impfung trat im März 2015 ein plötzlicher Schwindel mit Kopfschmerzen und Sprachstörung auf, im Juni 2015 erlitt die Frau bei einem Pkw-Unfall eine HWS-Distorsion sowie im August 2015 eine Beinvenenthrombose.

Nach einem Sturz mit Wunde an der rechten Hand wurde ihr am 14.12.2015 der Kombinationsimpfstoff „Boostrix“ gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten als Auffrischungsimpfung verabreicht. In der Folge bildete sich an der Einstichstelle auf der linken Schulter ein Granulom, also eine körnchenförmige Neubildung von Gewebe.

Das Land stellte einen Impfschaden fest

Auf einen Antrag der Frau erkannte das Land Baden-Württemberg als Folge einer Impfschädigung eine etwa 7×6 cm große, leicht verhärtete druckschmerzhafte Fläche im Bereich des Schultermuskels und innerhalb dieser eine etwa 1,5 cm große rot-bläulich verfärbte Verhärtung an. Die Gewährung einer Beschädigtengrundrente wurde abgelehnt, da der Schädigungsgrad nur 10 betrage. Heilbehandlung werde aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen gewährt.

Im Klageverfahren machte die Frau geltend, dass sie an attackenartigem, schmerzhaftem Stechen und Brennen im linken Arm bis zum Unterarm leide. Sie könne sich nicht länger auf ihren linken Arm stützen oder den Arm hängen lassen und ihre frühere Tätigkeit als Reinigungskraft nicht mehr ausüben. Ihr sei daher eine Beschädigtengrundrente zu gewähren.

LSG verneinte bereits das Vorliegen eines Impfschadens

Die Klage hatte vor dem LSG keinen Erfolg. Das Gericht kam zu der Auffassung, dass das Land zu Unrecht einen Impfschaden festgestellt hat, sodass die Frau schon deshalb die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen nicht beanspruchen kann. Aufgrund eines gerichtlich eingeholten Gutachtens steht fest, dass es an einem tatsächlichen Impfschaden bei der Frau fehlt. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 60 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Voraussetzung ist eine gesundheitliche Schädigung durch die Schutzimpfung

Danach erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens i. S. d. § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, aufgrund des IfSG angeordnet wurde, gesetzlich vorgeschrieben war oder aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.

Die Impfung und sowohl die als unübliche Impfreaktion in Betracht kommende wie auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen. Die Feststellung einer unüblichen Impfreaktion i. S. einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.

Entscheidend ist der aktuelle Stand der medizinischen Erkenntnisse

 Bei allen medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, ist der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand maßgebend, der die Grundlage bildet, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen der konkret geschädigten Personen zu bewerten sind. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass das bei ihr aufgetretene Impfgranulom als einzig fassbarer organischer Befund an der Impfstelle als eine übliche Nebenwirkung des Präparats, also somit nicht als gesundheitliche Schädigung – wie für einen Impfschaden erforderlich –, beschrieben wird. Dies spricht dafür, dass es sich eben um keine über die übliche Impfreaktion hinausgehende Komplikation gehandelt hat. Vielmehr liegt eine ausgeprägte Impfreaktion vor, die komplikationslos verläuft; es bestehen aber keine Symptome i. S. einer Impfkomplikation.

Die Frau litt unter erheblichen Belastungen im persönlichen Bereich

Der erforderliche Nachweis einer gesundheitlichen Schädigung ist nicht erbracht, weil keine über die übliche Impfreaktion hinausgehende Impfkomplikation vorliegt. Die von der Frau beschriebenen, angeblich nach der Impfung eingetretenen gesundheitlichen Veränderungen sind nicht ärztlich dokumentiert. Vielmehr ergibt sich aus den Akten und den von dem Gericht eingeholten Gutachten, dass bei ihr bereits vor der Impfung eine ängstlich-depressive Symptomatik mit Ausbildung von Konversionssymptomen bestand.

Wesentliche Ursache dafür waren erhebliche familiäre und soziale Probleme mit langjähriger psychosozialer Belastung und chronischer Überforderung bei Alkoholkrankheit des Ehemannes. Die von der Frau angegebene Schmerzsymptomatik kann ebenfalls nicht auf die Impfung zurückgeführt werden, nachdem ein halbes Jahr nach der Impfung noch keine dauerhafte Schmerzmedikation erforderlich gewesen war. Bereits in der Vergangenheit waren orthopädisch Kopf- und Nackenschmerzen mit Ausstrahlungen in die Schultergürtel bei ihr ärztlicherseits beschrieben worden.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.04.2022 – L 6 VJ 254/21 –.

Entnommen aus der Fundstelle Hessen 23/2022, Rn. 247.