Grundlagen Rechtliches

Weg zum Postbriefkasten durch gesetzliche Unfallversicherung geschützt

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Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass der Weg zum Briefkasten, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung postalisch zu versenden, durch die Unfallversicherung nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) geschützt wird.

Erstattungsstreit zwischen Sozialversicherungsträgern

Der Entscheidung lag ein Erstattungsverfahren zwischen der IKK Brandenburg und Berlin sowie der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (BG) zugrunde. Eine bei der klagenden Krankenkasse versicherte Frau war arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wollte sie am 16.11.2013 mit der Post an ihren Arbeitgeber schicken.

Auf dem Weg zum Briefkasten stürzte sie und zog sich Verletzungen zu. Sie wurde aufgrund des Sturzes auf Kosten der IKK medizinisch behandelt und bezog Krankengeld. Die von der Krankenkasse deswegen bei der BG angemeldete Kostenerstattung lehnte diese ab. Bei dem Sturz handele es sich nicht um einen versicherten Arbeitsunfall.

BSG bejaht Arbeitsunfall

Das BSG entschied, dass die BG vollumfänglich zur Erstattung der Kosten für die erbrachte Krankenbehandlung sowie für geleistetes Krankengeld verpflichtet ist. Auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung besteht kein Anspruch, weil hier Leistungen als Folge eines Arbeitsunfalls zu erbringen sind. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt mithin voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlichen begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität).

Weg zum Briefkasten untersteht dem Versicherungsschutz

Hier hat die Frau einen Unfall i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erlitten, als sie auf dem Weg zum Postbriefkasten stürzte. Hierbei zog sie sich Verletzungen in Form einer Luxation des Handgelenkes sowie einer Rotatorenmanschettenläsion zu. Die Frau war im Zeitpunkt des Unfalls Arbeitnehmerin und daher als Beschäftigte i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII grundsätzlich gesetzlich unfallversichert. Die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit mit der Folge der Unterbrechung der Arbeitstätigkeit steht der Beschäftigteneigenschaft nicht entgegen.

Für den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung ist nicht der Status als Beschäftigter entscheidend, sondern die im Zeitpunkt des Unfalls tatsächliche Verrichtung. Die konkrete unfallbringende Verrichtung – das postalische Versenden der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Arbeitgeber – stand hier in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit als Beschäftigte.

Zusammenhang zu versicherter Tätigkeit notwendig

Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist es erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und dass diese Tätigkeit den Unfall herbeigeführt hat.

Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog. innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll.

Nebenpflicht aus Arbeitsvertrag erfüllt

Eine versicherte Tätigkeit im Rahmen einer Beschäftigung wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen.

Mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über das Bestehen und insbesondere die Dauer einer Arbeitsunfähigkeit gegenüber ihrem Arbeitgeber erfüllen Beschäftigte eine ihnen obliegende eigene Nebenpflicht aus dem Schuldverhältnis (§ 241 Abs. 2 BGB).

Denn wenn Beschäftigte krankheitsbedingt die von ihnen geschuldete Hauptleistung nicht erbringen können, gehört es zu den Nebenpflichten, den Unternehmer hierüber unverzüglich zu informieren. Die Informationspflicht entspringt dem unternehmerischen Interesse, den Einsatz der Arbeitskräfte planen und bei Verhinderung Ersatz beschaffen oder ggf. Terminänderungen rechtzeitig vornehmen zu können.

Nebenpflicht im Entgeltfortzahlungsgesetz geregelt

Zu den Nebenpflichten aus einem Arbeitsverhältnis zählt es deshalb auch, dass Beschäftigte das Bestehen und auch die Dauer einer krankheitsbedingten Abwesenheit dem Unternehmer unverzüglich mitteilen. Diese Nebenpflichten sind für das Arbeitsverhältnis (§ 611a BGB) gesetzlich konkretisiert.

Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenversicherung sind, waren zum Zeitpunkt des Unfalls verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen.

Dauerte die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hatte der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Die Mitteilungspflicht aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) begründet eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht.

Versicherter Betriebsweg

Hier war die Versicherte auf dem Weg zum Postbriefkasten mit der objektivierten Handlungstendenz unterwegs, eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht zu erfüllen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthielt Informationen über das Bestehen und das (baldige) Ende der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.

Das Verhalten war in Erfüllung der Nachweispflichten aus § 5 Abs. 1 Satz 2 und 4 EntgFG darauf gerichtet, einer eigenen objektiv bestehenden Pflicht aus ihrem Beschäftigungsverhältnis nachzukommen.

Die Frau hat mit dem Weg zum Briefkasten einen versicherten Betriebsweg zurückgelegt. Betriebswege sind Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen.

Betriebswege nicht auf Betriebsgelände beschränkt

Betriebswege sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt, sondern können auch außerhalb der Betriebsstätte anfallen. Ein Betriebsweg kann auch von zu Hause angetreten werden, wenn er unmittelbar der Erfüllung einer Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis dient.

Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob er also eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Einzelfallumstände bestätigt wird.

Bundessozialgericht, Urt. v. 30.03.2023 – B 2 U 1/21 R

Entnommen aus der Fundstelle Baden-Württemberg 5/2024, Rn. 59.