Grundlagen Rechtliches

Anerkennung eines Bandscheibenvorfalls als Unfallfolge

© AA+W - stock.adobe.com

Für die Anerkennung eines Bandscheibenvorfalls als Unfallfolge im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen generell hohe Anforderungen. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat seine Auffassung geändert, wann dies im Einzelnen der Fall sein kann.

Arbeitsunfall mit Motorrad

Geklagt hat ein 1991 geborener Mann, der als Prüfungsingenieur berufstätig war. Im Rahmen der Ausübung dieser Tätigkeit rutschte er am 01.08.2017 während einer Probefahrt mit einem Motorrad in der Kurve plötzlich weg, bremste das Motorrad sodann bis zum Stillstand ab und kippte schließlich im Stand mit dem Motorrad auf die rechte Seite um. Dabei stürzten sein Oberkörper und die rechte obere Extremität direkt auf die rechte Seite. Sein rechtes Bein wurde unter dem Motorrad eingeklemmt.

Aufgrund daraufhin auftretender Rückenschmerzen stellte er sich anschließend bei einem Orthopäden vor, der einen Druckschmerz ohne Prellmarke mit lediglich diskretem Muskelhartspann und frei beweglichen Extremitäten beschrieb, aufgrund des unauffälligen Röntgenergebnisses eine Fraktur ausschloss und eine Lendenwirbelsäulen(LWS)-Prellung diagnostizierte. Ab 02.08.2017 bescheinigte der Arzt Arbeitsfähigkeit.

Erneute Schmerzen nach einem Monat

Mitte September 2017 begab sich der Mann erneut mit Schmerzen im Bereich der LWS und deren Ausstrahlung ins linke Bein in ärztliche Behandlung. Ein MRT ergab einen linksseitig ausgeprägten Prolaps des Nucleus pulposus auf Höhe L4/5 mit konsekutiv mittel- bis hochgradiger Spinalkanalstenose sowie initiale Degenerationen. Es wurde eine medikamentöse Schmerztherapie durch Ibuprofen und Tilidin eingeleitet. Eine ambulante physiotherapeutischen Behandlung führte zu einer Rückbildung der Beschwerden.

Im Oktober 2018 wandte sich der Mann an die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) und bat um eine Bestätigung, dass es sich bei seinem Bandscheibenschaden um die Folge des Unfalls vom 01.08.2017 handele. Er benötige die Bestätigung im Zusammenhang mit einem Wechsel von der gesetzlichen in eine private Krankenversicherung. Die BG lehnte die beantragte Feststellung ab.

Fehlender kausaler Zusammenhang

Das LSG bestätigte die Auffassung der BG, da bereits ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Vorfall vom 01.08.2017 und dem geltend gemachten Bandscheibenvorfall fehlt (hierzu Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 04.05.2021 – L 3 U 70/19 – siehe auch [> Rn. 372/2021 /]). Bei dem fraglichen Geschehnis handelt es sich unbestritten um einen Arbeitsumfall i. S. d. § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung).

Es sprechen jedoch keine wesentlichen Indizien für eine traumatische Ursache und vielmehr überwögen die für eine degenerative Schädigung sprechenden Indizien deutlich. Am Unfalltag konnte von dem Orthopäden kein Primärbefund erhoben werden, der für eine traumatische Schädigung der Bandscheiben anlässlich des Arbeitsunfalls sprach. Da keine Fraktur festgestellt werden konnte, war ärztlicherseits nur eine LWS-Prellung zu diagnostizieren. Ein erstmaliger Hinweis auf eine ischialgiforme Beschwerdesymptomatik trat erst am 13.09.2017 auf.

Nachweisbare körperliche Verletzung erforderlich

Der ursächliche Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn kann auch nicht rein zeitlich begründet werden, sondern muss sachlich-inhaltlich nachvollziehbar sein. Soweit das LSG in früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten hat, dass ein traumatischer Bandscheibenschaden im Einzelfall auch ohne Begleitverletzungen möglich sein kann, hält das Gericht hieran nicht weiter fest.

Denn nach der aktuell herrschenden unfallversicherungsrechtlichen Literatur gehen traumatische Bandscheibenvorfälle als Unfallfolge grundsätzlich mit begleitenden – wenn auch minimalen – knöchernen oder Bandverletzungen im vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment einher.

Solche Verletzungen waren auf dem MRT nicht ersichtlich, sondern es lagen vielmehr chronisch degenerative Schädigungen der Bandscheibe vor. Bereits unter biomechanischen Gesichtspunkten ist es ausgeschlossen, dass der geschilderte Sturz auf die rechte Seite einen ausgeprägten linksseitigen Bandscheibenvorfall verursacht haben kann.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.06.2023 – L 10 U 1055/22

Entnommen aus der Fundstelle Baden-Württemberg 2/2024, Rn. 24.